Lesepredigt 2. Sonntag nach Trinitatis

21. Juni 2020
Predigt zu Matthäus 11,25-30
Pfr. Dr. Roland Liebenberg


Das Angebot des Marktschreiers


Jesu Einladung

Der Predigttext ist dem 11. Kapitel des Matthäusevangeliums entnommen:
Zu der Zeit fing Jesus an und sprach: Ich preise dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde, weil du dies den Weisen und Klugen verborgen hast und hast es den Unmündigen offenbart. Ja, Vater; denn so hat es dir wohl gefallen.
Alles ist mir übergeben von meinem Vater; und niemand kennt den Sohn als nur der Vater; und niemand kennt den Vater als nur der Sohn und wem es der Sohn offenbaren will.
Kommt her zu mir, alle, die ihr ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken. Nehmt auf mein Joch und lernt von mir; denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig; so werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen. Denn mein Joch ist sanft, und meine Last ist leicht.


Keine Kärwa

An diesem Wochenende wäre sie losgegangen, liebe Gemeinde: die Kärwa-Saison in unseren beiden Kirchengemeinden. Drei Wochen nach Pfingsten, am 2. Sonntag nach Trinitatis, macht Kottensdorf den Anfang. Im Juli wären dann Regelsbach und im August Gustenfelden dran gewesen.
In allen drei Ortschaften wird seit Jahrhunderten Kärwa gefeiert. Die Kottensdorfer St. Nikolauskirche war lange Zeit nur eine Kärwa-Kirche. Einmal im Jahr, am Kärwasonntag, kam der Rohrer Pfarrer mit seiner Familie nach Kottensdorf, um mit den Bauernfamilien einen Gottesdienst zu feiern. Danach gab es für ihn, seine Frau und seine Kinder ein Festessen bei einer Kottensdorfer Familie. Für das Dorf war die Kärwa der Höhepunkt im Jahr. Heutzutage ist das nicht anders. Auf die von der Freiwilligen Feuerwehr mit Unterstützung der Kärwamadli und Kärwaboum durchgeführte Kärwa freut sich nicht nur das gesamte Dorf in der Mitte des Schwabachtals. Von nah und fern strömen die Menschen am Kärwa-Wochenende herbei, um fröhlich mitzufeiern.
Wenn man sich das bewusst macht, schmerzt die diesjährige Absage besonders. Die Kärwa fehlt. Nicht nur in Kottensdorf. Sie gehört zu unserem Lebensrhythmus auf dem Land. Sie bringt die Menschen zusammen. Sie stärkt den Zusammenhalt. Gibt es keine Kärwa, dann kommt uns das Jahr unvollständig, ja irgendwie leer vor.

Fehlende Nähe

Nun fehlt es ja angesichts der Corona-Krise nicht an Verständnis für derartige Absagen. Doch wird dieses Verständnis brüchiger, je länger Kontakte, Nähe oder Feiern ohne Distanz untersagt sind. Eine Mutter aus Regelsbach erzählte mir vor einer Woche, dass ihr volljähriger Sohn plötzlich Weinkrämpfe bekam. Als er sich einigermaßen beruhigt hatte, fragte sie ihn, was los sei. Da erzählte er ihr, wie sehr ihm der Kontakt zu seinen Freunden, die gemeinsame Zeit, das Ausgehen, das ausgelassene Feiern fehle. Wann wird es das für ihn wiedergeben? Die Mutter einer anderen Jugendlichen aus Regelsbach teilte mir sehr betroffen mit, dass ihre Tochter sich lebendig begraben fühle.
Das sind wohl keine Einzelfälle. Auch wenn die Beschränkungen jetzt ständig gelockert werden, zu einem Leben in unbegrenzter Nähe fehlt noch eine ganze Menge. Deshalb liegen bei vielen Menschen die Nerven blank. Sie sind aufgewühlt und immer weniger bereit, die auferlegten Schutzmaßnahmen zu akzeptieren.

Der sanfte Marktschreier

Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber in mir rumort es auch. Deshalb nehme ich die heutige Einladung Jesu gerne an: „Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken.“
Als ich mir Gedanken über diese Einladung machte, verdichtete sich in mir ein Bild. Jesus tritt hier wie ein Marktschreier auf. Er steht mit seinem Stand auf einem Markt und bietet etwas ganz Besonderes an. Jesus ruft den Menschen zu: „Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid!“ Ja, das sind wir. Wir mühen uns durch diese schwierige Zeit. Innerlich beladen mit Einschränkungen, die uns belasten, uns die Freiheit und die Freude am Leben nehmen. Deshalb gehen wir zu ihm hin, hören uns an, was er anzubieten hat.
Jesus lächelt, als ich an seinem Stand halt mache. Ich frage ihn, was er anzubieten hat. „Dass es dir, ja, dass es euch allen besser geht“, lautet seine Antwort. „Ich will euch erquicken.“ So steht es in der Lutherübersetzung. Erquicken. Damit ist gemeint, dass Jesus uns innerlich neu beleben, uns stärken und erfrischen will. Das Wort im griechischen Urtext hat aber auch die Bedeutung „ausruhen lassen“ oder „Ruhe gewähren“. Es kommt eben darauf an, wie wir uns derzeit fühlen.
Der sanfte Marktschreier nimmt sich Zeit für jene, die zu ihm kommen. Manche benötigen eine innerliche Erfrischung. Etwa wenn sie sich ausgebrannt, innerlich leer fühlen. Ich denke da zum Beispiel an die Eltern. Vor allem an Mütter, die ihre Kinder neben der Arbeit zu Hause betreuen. Viele von ihnen funktionieren nur noch, sind kurz vor einem Burn-Out.
Manche sehnen sich nach Ruhe. Etwa weil die Ansprüche zu Hause oder in der Arbeit immer größer werden. Von meiner Schwester weiß ich zum Beispiel, dass in der Paketpost die Arbeit seit März ein Ausmaß wie an Weihnachten hat.

Das helfende Joch

Wie aber kann uns der sanfte Marktschreier innerlich erquicken oder zur Ruhe kommen lassen? „Nehmt auf mein Joch und lernt von mir“, lautet die Antwort Jesu. Die Rede vom Joch ruft beim ersten Hören keine Begeisterung hervor. In ein Joch wird man wie ein Ochse gespannt. Es drückt mich nieder und zwingt mich in eine bestimmte Richtung. Wie soll ich mich da innerlich erquicken können oder zur Ruhe kommen?
Das Joch, das uns Jesus auferlegt, ist ein helfendes Joch. Es hilft, die Lasten des Lebens leichter zu (er)tragen. Wie die Lasten für uns leichter werden, will uns Jesus als unser Lehrer zeigen. Es wird also nicht mit einem Schlag leichter und besser für uns. Wir müssen uns mit unserem Lehrer auf einen Lernweg begeben. Wohin er führt, bekommen wir schon heute von ihm mitgeteilt: „Ich bin sanftmütig und von Herzen demütig. So werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen.“

Mit Gott auf dem Weg

Jesus lehrt uns Sanftmut und Demut. Das heißt nicht, dass wir mit Jesu Hilfe nun alles einfach hinnehmen. Die Demut hilft mir, mich realistisch einzuschätzen. Zugleich aber weist mich Jesus darauf hin, dass ich ein angenommenes und begleitetes Kind des allmächtigen Gottes bin. Ein Kind Gottes, das sein Leben am Liebesgebot ausrichtet und seinen Mitmenschen sanftmütig begegnet.
Wir sind mit Gott dem Weg, sanftmütig und von Herzen demütig wie unser Lehrer und Herr. Daran richten wir unser Leben aus, ganz gleich, was um uns herum passiert. Diese klare Lebensorientierung kann mich innerlich erquicken oder meine Seele zur Ruhe kommen lassen. Je nachdem, wie es mir gerade geht. Ganz gleich, ob nun eine Kärwa stattfindet oder nicht.
Deshalb wünsche ich Euch, liebe Schwestern und Brüder, dass ihr die Einladung des sanften Marktschreiers vernehmt und den Weg zu seinem Stand findet. Amen