Lesepredigt 1. Christfesttag

Erster Christfesttag, 25.12.2020
Predigt zu Jesaja 52,7-10
Dr. Roland Liebenberg

Weihnachtshoffnung


Das Jubellied des Propheten


Der Predigttext für den ersten Christfestsonntag steht im Buch des Propheten Jesaja. Dort heißt es im 52. Kapitel:

Wie lieblich sind auf den Bergen die Füße des Freudenboten, der da Frieden verkündigt, Gutes predigt, Heil verkündigt, der da sagt zu Zion: Dein König ist König! Deine Wächter rufen mit lauter Stimme und jubeln miteinander. Denn sie werden´s mit ihren Augen sehen, wenn der Herr nach Zion zurückkehrt. Seid fröhlich und jubelt miteinander, ihr Trümmer Jerusalems. Denn der Herr hat sein Volk getröstet und Jerusalem erlöst. Der Herr hat offenbart seinen heiligen Arm vor den Augen aller Völker, dass aller Welt Enden sehen das Heil unsres Gottes.

Enttäuschte Vorfreude

Diesmal waren die Vorbereitungen besonders anstrengend gewesen. Denn der gestrige Abend und die folgenden Feiertage sollten ein schönes, ja einzigartiges Ereignis werden. Sie sollten entschädigen für all die Dinge, auf die sie und ihre Familie in diesem Seuchenjahr verzichten mussten. Die Geschenke, das Essen, das Miteinander mit ihrem Mann und den Kindern – alles sollte passen, alle sollten zufrieden und glücklich sein. Das wünschte sie sich so sehr.

Und bereits gestern gab es die erste Enttäuschung. Die Kinder stritten wieder den ganzen Tag miteinander. Und ihr Mann fand kein Ende mit der Arbeit in seinem Homeoffice. Sie musste alles alleine vorbereiten. Am Abend war dann die ganze Vorfreude dahin. Sie versuchte, sich ihre Enttäuschung nicht anmerken zu lassen, als sie miteinander am Tisch saßen und danach die Geschenke unter dem Weihnachtsbaum auspackten.
So ist das oft. Nicht nur an Weihnachten, liebe Gemeinde. Die schönen Bilder, die wir uns im Vorfeld ausmalen, werden nicht erfüllt. Die Freude kippt um. Frust und Enttäuschung machen sich breit.

Die Hoffnung des zweiten Jesaja

Diese Gefahr könnte man auch bei den Bildern vermuten, die ein unbekannter Prophet in unserem Predigttext an die Wand malte. In der Forschung wird er der zweite Jesaja genannt. Er lebte im 6. vorchristlichen Jahrhundert im babylonischen Exil. Der Tempel in Jerusalem lag zu dieser Zeit noch in Trümmern. Die Israeliten lebten nun schon eine ganze Weile in einem fremden Land unter fremder Herrschaft. Die Sehnsucht nach der Heimat war zwar noch da. Sie wurde jedoch blasser, besonders in der jungen Generation. Die Israeliten begannen, sich in Babylon dauerhaft einzurichten.

Das erkannte auch unser Prophet. Und er war damit nicht einverstanden. Er wollte die Erinnerung an die Heimat, auch an die religiöse Heimat, bei seinen Landsleuten wachhalten. Und dabei war er alles andere als ein Traumtänzer. Denn inzwischen hatten die Perser die Babylonier vernichtend geschlagen. Der persische König Kyrus hatte angekündigt, die Israeliten wieder in ihre Heimat zu entlassen. Die Hoffnung und Vorfreude auf eine Rückkehr bekam neue Nahrung.

Jubel inmitten der Trümmer

Besungen wird die Freude auf die bevorstehende Rückkehr im Jubellied unseres unbekannten Propheten. Anders als bei der enttäuschten Mutter am Heiligen Abend bleiben die Bilder in seinem Jubellied realistisch. Weder besingt er einen neuen und schönen Tempel. Noch hat er ein neues Jerusalem mit Prachtstraßen und einladendenGrünanlagen vor Augen. Er weiß, dass solche Träume von der Wirklichkeit nur enttäuscht werden können.

Ihm ist etwas anderes wichtig. Sein Jubel richtet sich allein auf Gottes Kommen zu seinem Volk. Gott kehrt nach Zion, nach Jerusalem und damit zu seinem Volk zurück. Und er kommt so gewaltig, dass es alle sehen und alle hören können. Das allein ist dem Propheten wichtig. Das allein lässt ihn jubeln inmitten der Trümmer  Jerusalems.

Warum feiern wir Weihnachten?

Gott kommt zu seinem Volk. Gott stellt die Beziehung zu den Menschen wieder her. Das ist die Botschaft des zweiten Jesaja. Und diese Botschaft vernehmen wir auch an Weihnachten: Gott kommt zu uns, allerdings unscheinbar und klein in seinem Sohn Jesus Christus.

Unser Prophet teilt uns heute mit: Mehr braucht es nicht. Wir brauchen keine Bilder von mehr und immer mehr, von noch größer und noch schöner. Was wir brauchen,  gerade heute brauchen, ist der Trost, dass Gott uns trotz unserer Sünden nicht fallen lässt. Dass Gott an uns festhält und nahe bei uns sein will. Dass Gott uns liebt und uns in die von uns verdunkelte Zukunft begleitet. Das allein brauchen wir. So schön der Glanz und die Familienfeier an Weihnachten auch sein können. Sie nehmen uns nicht unsere seelischen Wunden, unsere Ängste und unsere Traurigkeit. Sie helfen uns nicht, umzukehren und einen neuen Weg einzuschlagen.

Fragen Sie sich selbst: Warum feiern Sie Weihnachten? Feiern Sie Weihnachten, um Ihre kleinen und großen Wünsche zu erfüllen? Wieso sollten Sie das nur am 24. Dezember tun? Feiern Sie Weihnachten, um mit der Familie  zusammen zu sein? Wäre das an einem lauen Sommerabend nicht sinnvoller? Nein, da ist mehr. Da ist eine Hoffnung, die über all das hinausgeht.

Realistische Hoffnung

Ich hoffe an Weihnachten, dass es mich innerlich berührt. Dass Gott, der menschgewordene Gott mir nahe ist, mich anspricht, mich hält, tröstet  und aufrichtet. Würde ich das nicht hoffen, hätte ich mich von Weihnachten und den Konsumwahnsinn, den wir aus diesem Fest gemacht haben, längst verabschiedet.

Ich feiere Weihnachten, weil ich hoffe, gegen allen Augenschein hoffe. Und ich bin überzeugt, mit dieser Hoffnung stehe ich nicht alleine da. Viele Menschen zieht es am Heiligen Abend in den Gottesdienst, weil Weihnachten für sie mehr ist als nur Geschenke, gutes Essen und Beisammensein mit der Familie. Sie feiern Weihnachten, weil sie hoffen.

Auch wenn die Gottesdienste am Heiligen Abend in diesem Seuchenjahr nicht stattfinden konnten, wird ihre, wird unsere Hoffnung nicht enttäuscht werden. Das teilt uns heute der zweite Jesaja mit. Denn wir hoffen nicht auf irgendwen. Wir hoffen auf den Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, den allmächtigen Schöpfer der Welt, der sein Volk getröstet und Jerusalem aus seinem Trümmerdasein erlöst hat.

Wir hoffen auf den Vater Jesu Christi, der mit seinem Sohn zu uns kam. Der uns nicht alleine lässt mit unseren seelischen Wunden, unseren Ängsten und unserer Traurigkeit. Der uns mit seinem Wort und Geist nahe ist, um uns zu halten, zu trösten und aufzurichten. An Weihnachten ist die Hoffnung auf die Nähe und den Trost Gottes am größten. Besonders in diesem Jahr der Verbote, Beschränkungen und Absagen.

Vom zweiten Jesaja vernehmen wir heute: Diese Hoffnung wird nicht enttäuscht. Sie wird erfüllt. Anders als bei der gestressten und am Ende enttäuschten Mutter braucht es dafür keine Vorbereitung. Alles, was es braucht, sind offene Ohren und Herzen für  Gottes Wort und Gottes Geist.


Seid daher fröhlich und jubelt miteinander
inmitten der seelischen Trümmer dieses Seuchenjahres!