Lesepredigt 18. Sonntag nach Trinitatis

11.10.2020
Predigt zu 5 Mose 30,11-14
Dr. Roland Liebenberg


Das nahe Wort


Was Gott erfreut

Mose und das Volk Israel sind im Lande Moab. Noch einmal bekräftigt Gott seinen Bund mit dem Volk Israel. Und Gott lässt sein Volk durch Mose wissen, was ihn erfreut: Wenn es sein Wort nicht nur hört, sondern auch danach handelt.
Denn das Gebot, das ich dir heute gebiete, heißt es im heutigen Predigttext, der dem 5. Buch Mose entnommen ist, ist dir nicht zu hoch und nicht zu fern. Es ist nicht im Himmel, dass du sagen müsstest: Wer will für uns in den Himmel fahren und es uns holen, dass wir´s hören und tun? Es ist auch nicht jenseits des Meeres, dass du sagen müsstest: Wer will für uns über das Meer fahren und es uns holen, dass wir´s hören und tun? Denn es ist das Wort ganz nahe bei dir, in deinem Munde und in deinem Herzen, dass du es tust.

Der Ort der guten Werke

„Die Menschen werden nicht besser. Sie huren und saufen wie ehedem. Und das ‚sanft lebende Fleisch zu Wittenberg‘ sagt dazu mit seiner Rechtfertigungslehre Ja und Amen.“ Dieser Vorwurf ärgerte ihn besonders. Wohl auch deshalb, weil er nicht von den Altgläubigen kam. Er kam aus der Mitte der reformatorischen Bewegung. Sein ehemaliger Wittenberger Kollege Karlstadt warf ihm das vor. Ebenso Thomas Müntzer, der jetzt ganz eigene, aufrührerische Wege ging. Auch aus dem einfachen Volk erhoben sich Stimmen, die es ihm anlasteten, dass sich die Menschen nicht bessern.
Luther empfand das als eine falsche und infame Unterstellung. Auch er bestand darauf, dass sich die Menschen bessern. Die guten Werke hat er nie verworfen. Er hat ihnen nur den rechten Ort zugewiesen. An erster Stelle stand für ihn der Glaube an Christus. Er ist das „erste und höchste, alleredelste gute Werk“, hielt Luther 1520 in seiner Schrift „Von den guten Werken“ fest. Aus dem Glauben folgen ohne Zwang die guten Werke. Ein Christenmensch liebt aus freiem Herzen seine Mitmenschen. „Er tut es fröhlich und frei, nicht um viele gute Verdienste und Werke zu sammeln, sondern weil es ihm eine Lust ist, Gott damit zu gefallen.“

Das nahe Wort

Mit dieser Einordnung der guten Werke als Folge des Glaubens war Luther nah an unserem Predigttext dran. Auch er fragt danach, was es für das Tun der guten Werke braucht. Für das Tun der guten Werke braucht es zuallererst das nahe Wort. Das Wort „ist ganz nahe bei dir“ vernehmen wir im Predigttext.
Wie ist das Wort ganz nahe bei mir, liebe Gemeinde? Zunächst einmal muss ich es im Gottesdienst hören oder in der Bibel lesen. Das allein aber reicht noch nicht aus, damit es für mich zu einem ganz nahen Wort wird. Das Wort ist dir ganz nah „in deinem Mund und in deinem Herzen“, bekomme ich heute zur Antwort. Das gehörte oder gelesene Wort wird mir vertraut, wenn ich es wiederhole und immer wieder spreche. Und auch jetzt fehlt noch was. Auch wenn ich die ganze Bibel wie Luther auswendig lerne, bin ich noch nicht am Ziel. Ich mag das Wort aufsagen können. Doch ist mir das, was das Wort mitteilt, auch eine Herzensangelegenheit? Geht mich die Botschaft des Wortes wirklich an?
Erst wenn ich das bejahen kann, ist mir das Wort ganz nah. Wie schaffe ich das? Ich schaffe das nicht. Ich kann das Wort in mir nicht selbst zu einer Herzensangelegenheit machen. Das kann nur Gott. Was ich höre oder lese, kann nur der Geist Gottes zu einem ganz nahen Wort machen. Ich kann mit dem Wort vertraut werden. Ich kann es immer wieder hören oder lesen. Ich kann es auswendig lernen.
Doch zu einem ganz nahen Wort wird die Botschaft für mich erst, wenn Gottes Geist in mir wirkt. Wenn Gott dafür sorgt, dass die Botschaft des Wortes in mir zu einer Herzensangelegenheit wird. Dass sie mich unbedingt angeht.

Unser leeres Geschwätz

Gott kennt uns besser als wir uns selbst. Gott weiß, dass wir meist erst dann unseren bequemen Arsch hochkriegen, wenn es zu spät ist. Das wurde mir wieder in der vergangenen Woche bewusst. Wie lange hatte ich mir vorgenommen, meinen ehemaligen Jugendpfarrer noch einmal zu besuchen. Der Weg nach Neuendettelsau wäre wahrlich nicht zu weit gewesen. Doch ich habe es nicht getan. Immer gab es angeblich Wichtigeres zu erledigen. Nun ist er gestorben. Meine Absichtserklärungen, ihn zu besuchen, waren nur leeres Geschwätz. Wäre mir der Besuch wirklich wichtig gewesen, hätte ich mich so schnell wie möglich nach Neuendettelsau begeben.
So geht es ja wahrscheinlich vielen von uns. Wir nehmen uns was vor, finden es auch wichtig, aber am Ende bleibt es bei der guten Absicht. Wir tun es nicht. Und bestimmt haben wir alle auch eine gute Ausrede parat. Irgendetwas lässt sich immer vorschieben, damit es bei der guten Absicht bleibt. Damit wir nicht handeln müssen. So werden unsere guten Absichten zu einem leeren Geschwätz.
Geradezu epidemische Ausmaße hat das leere Geschwätz in der Klimadebatte angenommen. Seit mehr als vierzig Jahren wird in der Politik über die Erderwärmung geredet. Eine Klimakonferenz folgt auf die andere. Um die globale Katastrophe in dieser Überlebenskrise der Menschheit zu vermeiden, hätte längst gehandelt werden müssen. Doch nichts wurde getan. Im Gegenteil, der globale Ausstoß von Kohlendioxid nahm in den vergangenen vierzig Jahren stetig zu. Die Reden der politischen Klasse über diese uns alle bedrohende Katastrophe waren nur leeres Geschwätz. Eine schleichende globale Katastrophe wie die Erderwärmung geht uns nicht wirklich an. Erst wenn die Wälder vor unserer eigenen Haustüre brennen, kriegen wir vielleicht unseren bequemen Arsch hoch.

Das Apfelbäumchen

Es braucht das ganz nahe Wort, die Botschaft, die mich unbedingt angeht, damit ich handle. Das wird uns am heutigen Sonntag mitgeteilt, liebe Gemeinde. Gott weiß, wie schwer wir uns tun, seine Gebote für ein gutes Miteinander in die Tat umzusetzen. Deshalb ist er uns mit seinem Wort ganz nah. Sein Geist macht das Wort in uns zu einer Herzensangelegenheit. Das verleiht uns die Kraft das Wort wirklich ernst zu nehmen und unser Leben danach auszurichten.
Wie sehr brauchen wir das ganz nahe Wort Gottes! Es verleiht uns die nötige Orientierung und die Kraft zu handeln. Und es hilft uns, die Hoffnung in hoffnungsloser werdenden Zeiten zu bewahren. Wenn ich mit dem Auto oder mit dem Fahrrad die Hengdorfer Straße in Regelsbach entlangfahre, halte ich, wenn es geht, am Gemeindehaus für eine kurze Zeit an. Ich lass das Fahrrad oder das Auto stehen und gehe hinüber zum Kirchhof. Dort wächst und gedeiht seit drei Jahren ein ganz besonderes Apfelbäumchen. 2017 haben es die damaligen Konfis zum Reformationsjubiläum eingepflanzt.
Für mich ist dieses Apfelbäumchen seitdem das Hoffnung spendende Lutherbäumchen. Es erinnert an das legendäre Lutherwort: „Und wenn ich wüsste, dass morgen die Welt unterginge, so würde ich doch heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen.“ Auch wenn sich das Wort nicht bei Luther nachweisen lässt, bringt es die christliche Hoffnung auf wunderbare Weise zum Ausdruck.
Solange wir hier auf Erden leben und den Weg in den Gottesdienst finden oder in der Bibel lesen, ist Gott uns mit seinem Wort ganz nah. Wohin uns unser Weg auch führt, Gott ist mit seinem Wort nah und hilft uns, das Richtige und Gute zu tun. Und Gott ist uns nah, wenn unser Weg hier auf Erden zu Ende und unser Grab zugeschaufelt ist. Dann hören wir unseren Namen. Und wir erfahren, dass Gottes Wort uns bis in alle Ewigkeit ganz nah ist.