Lesepredigt Jubilate

25. April 2021
Predigt zu 2 Kor 4,16-18
Dr. Roland Liebenberg


Osterjubel in der Bedrängnis


Der bedrängte und hoffende Apostel

Der Predigttext für den heutigen Sonntag ist dem zweiten Brief des Paulus an die Gemeinde in Korinth entnommen. Der Apostel geht im 4. Kapitel auf die Bedrängnisse ein, denen er täglich ausgesetzt ist. Er verrät seinen Geschwistern in Korinth, woher er die Kraft für seinen Dienst in der Bedrängnis nimmt. Paulus betrachtet sein Leben von Ostern her. Er ist erfüllt von der Gewissheit, dass Gott auch uns, seine getauften Kinder, vom Tod auferwecken wird:

Darum, schreibt er seinen Geschwistern in Korinth, darum werden wir nicht müde; sondern wenn auch unser äußerer Mensch verfällt, so wird doch der innere von Tag zu Tag erneuert. Denn unsre Trübsal, die zeitlich und leicht ist, schafft eine ewige und über alle Maßen gewichtige Herrlichkeit, uns, die wir nicht sehen auf das Sichtbare, sondern auf das Unsichtbare. Denn was sichtbar ist, das ist zeitlich; was aber unsichtbar ist, das ist ewig.

Wachsende Armut

Unsere Trübsale in dieser Zeit werden abgelöst von einer ewigen Herrlichkeit im Himmel. Hört sich das nicht wie eine billige Vertröstung auf das Jenseits an, liebe Gemeinde? Wie kommt diese Botschaft bei jenen an, die ihr Leben in trübseliger Armut fristen müssen? Und jene werden auch bei uns immer mehr.

Der Paritätische Gesamtverband hat im Armutsbericht 2020 darauf hingewiesen, dass im Jahr 2019 die Armutsquote in Deutschland mit 15,9 Prozent einen historischen Höchstwert erreicht hat. Es ist die größte gemessene Armut seit der Wiedervereinigung. Über 13 Millionen Menschen sind betroffen. Das war vor der Corona-Krise. Dass die Pandemie die Armut weiter verschlimmern wird, verdeutlicht das in der Tagesschau gesendete Beispiel von Rosie O.

Rosie ist Friseurmeisterin. Vor der Corona-Pandemie arbeitete sie noch in einem Salon. Als der im ersten Lockdown pleite ging, stand sie erstmal auf der Straße. Doch sie fand schnell eine Anstellung als Verkäuferin – ihren Traumjob, wie sie selbst sagt. Im zweiten Lockdown musste auch dieser Laden schließen und Rosie ging in Kurzarbeit. Rosies Ehemann arbeitet als Signalgeber bei der Bahn. Seine Arbeit ist wetterabhängig. „Im Dezember und Januar hat auch er nicht so viel Geld mit nach Hause gebracht“, erzählt sie und rechnet vor: „Allein mir fehlen jetzt 400 Euro im Monat und dann noch das, was er weniger verdient, das bringt uns hart an die Grenze, dass wir überhaupt überleben können.“

Rosie und ihr Ehemann haben einen kleinen Sohn. Als Rosie noch arbeiten ging, brachte sie ihn in die Kita. Das kann sich die Familie nicht mehr leisten. „Ich muss mich entscheiden“, sagt die junge Mutter, „zahle ich Miete, die Kita oder kaufe ich Lebensmittel? Miete ist wichtiger, Lebensmittel sind wichtiger, also keine Kita, die ist nicht so wichtig.“

Als ich mir den Bericht über Rosie im Internet ansah, fragte ich mich, wie sie und das wachsende Heer der Armen in unserem Land das österliche Wort des Apostels aus dem zweiten Korintherbrief wohl aufnehmen. Klingt es für Rosie nicht wie eine Vertröstung auf eine abstrakte Herrlichkeit nach dem Tod?

Das tröstende und Kraft spendende Wort

Wenn dieses Wort ihr Trost und Kraft spenden soll, dann muss es in unsere jetzige Lebens-situation hineingesprochen werden. Dann muss es ein Wort sein, dass die konkreten Erfahrungen der Menschen aufnimmt. Nur dann kann es Kraft in der Bedrängnis spenden. Rosies Armut muss angesprochen werden. Wenn das nicht geschieht, klingt es für sie und all die anderen Armen nur wie eine billige Vertröstung. Genau das werfen viele Menschen den kirchlichen Reden seit langem vor. Ihre Botschaft gebe keinen Trost, sagen sie, sondern nur eine Vertröstung.

Wer trösten will, muss die konkrete Situation hier und jetzt in den Blick nehmen. Die in den Sonntagsgottesdiensten oft zu hörende Vertröstung verschiebt alles nur auf ein Irgendwann. Damit haben die Kirchenkritiker meiner Meinung nach recht – und unrecht zugleich.

Recht haben sie, weil nur das Wort, das die konkrete Situation der Menschen ernst nimmt, trösten kann. Menschen wollen mit dem, was sie bedrängt und erdrückt, ernst genommen werden. Sie wollen Anteilnahme und Solidarität in ihrer Not erfahren. Die abstrakte Beschwörung eines Irgendwann prallt an ihren konkreten Sorgen und Nöten ab.

Unrecht haben sie, weil sich die Kraft des Trostes aus der Zukunft speist. Paulus kannte die Not und Bedrängnisse der Menschen. Er erlebte sie auf seinen Reisen selbst in ihrer ganzen Bandbreite. Es ist die österliche Zusage einer ewigen und über alle Maßen gewichtigen Herrlichkeit, die ihn weiterleben ließ. Sie richtete ihn inmitten der erfahrenen Bedrängnisse auf. Man mochte ihn als Missionar der Heiden bedrohen, verfolgen, schlagen, einsperren oder steinigen, die Zusage der kommenden, ewigen Herrlichkeit im Reich Gottes konnte ihm keine Macht auf Erden nehmen. Sie wog für ihn schwerer als die täglichen Trübsale.

Ohne irgendetwas beschönigen zu wollen, empfand er die Not und Last des Alltags als leicht. Als leicht gegenüber der über alle Maßen gewichtigen Herrlichkeit, die uns erwartet. Und das richtete Paulus auf. Das ließ ihn bis zu seinem Martyrium in Rom unerschrocken für die Sache Jesu Christi eintreten. Ja, diese Zusage verlieh ihm die Kraft, den Lauf der Welt zu verändern.

Das solidarische Wort

Ein Wort, das den Mut und die Kraft zu einem selbstbewussten Leben spenden kann, ist auf die Zukunft Gottes angewiesen. Damit es die Menschen in ihrer täglichen Bedrängnis erreicht, muss es zugleich ihre konkret erfahrene Not ernst nehmen. Muss es zugleich ein Wort sein, das seine Anteilnahme und Solidarität ausspricht.
Menschen, die wie Rosie in die Armut abrutschen, sollten von uns nicht nur unser Mitgefühl mitgeteilt bekommen.

Sie sollten von uns vernehmen, dass ihre Situation uns empört. Wie kann es sein, dass gewinnträchtige Autokonzerne mit Steuermitteln unterstützt werden, während immer mehr Menschen wie Rosie in die Armut abstürzen?

Menschen wie Rosie sollten von uns hören, dass wir an ihrer Seite stehen. Sie sollten hören, dass die Kirche mit der Kraft des Wortes gegen den Skandal der Armut in unserem Land protestiert. Und zwar so lange, bis es wieder gerechter zugeht. So lange, bis Menschen wie Rosie wieder ein würdiges Leben führen können.

Das österliche Wort

Das tröstende, Kraft spendende und solidarische Wort ist bei Paulus immer eingebettet in eine österliche Zusage. In die Zusage, dass uns unabhängig von unserer derzeitigen Lebens-situation eine ewige und über alle Maßen gewichtige Herrlichkeit versprochen ist. Das dürfen wir bei aller Solidarität mit Rosie und den anderen armen Mitmenschen nicht vergessen.

Ich denke, dass Rosi für diese Botschaft empfänglich ist. Dass es sich für sie nicht wie eine billige Vertröstung auf das Jenseits anhört, wenn wir uns an ihre Seite stellen. Wenn wir mit ihr protestieren gegen den Skandal der wachsenden Armut in unserem Land.

In der Mitte dieser österlichen Zeit wünsche ich uns und allen, die ihr Leben bedrückt, dieses solidarische und österliche Wort Gottes. Denn alle Menschen sollen wie der Apostel Paulus inmitten der Bedrängnis in den Osterjubel einstimmen können.