Septuagesimae

13. Februar 2022
Predigt zu Jer 9,22-23
Draußen bei den Menschen


Was wirklich zählt

Was zählt wirklich? Diese Frage stellte sich der Prophet Jeremia. Tief verzweifelt sah er die Katastrophe für das Königreich Juda voraus. Denn die Menschen hatten sich von Gott abgewendet. Sie beteten nichtige Götzen an.

Gott hatte ihm die Konsequenzen ihres gottlosen Handelns bereits mitgeteilt. Juda wird untergehen, hatte der Herr ihm gesagt. Und jene, die überleben, werden vertrieben unter fremde Völker.
Sage den Frauen, hatte Gott ihm weiter mitgeteilt, sie sollen die Totenklage anstimmen. Denn wie Dünger werden die Leichen auf den Feldern liegen.

Das erschütterte Jeremia. Und er fragte sich: Was zählt wirklich? Woran soll man sich noch halten? Gott gab ihm hierauf eine Antwort. Sie ist im 9. Kapitel des nach Jeremia benannten Buches überliefert. Sie lautet:

So spricht der Herr: Ein Weiser rühme sich nicht seiner Weisheit, ein Starker rühme sich nicht seiner Stärke, ein Reicher rühme sich nicht seines Reichtums. Sondern, wer sich rühmen will, der rühme sich dessen, dass er klug sei und mich kenne, dass ich der Herr bin, der Barmherzigkeit, Recht und Gerechtigkeit übt auf Erden; denn solches gefällt mir, spricht der Herr.

Die Götzen dieser Welt

Im vergangenen Jahr hat sich der amerikanische Regisseur Steven Spielberg eine größere gegönnt. Der russische Oligarch Roman Abramowitsch hat auch einen neue. Und der Amazon-Gründer Jeff Bezos will sich nun die allergrößte bauen lassen. Ihre Namen sind: „Seven Seas“, „Solaris“ oder „Y721“. Sie sind top-exklusiv und stehen bei den Superreichen ganz oben auf der Wunschliste.

Sie wissen wahrscheinlich, wovon die Rede ist: von Superjachten. Eine aktuelle Nachricht machten uns auf den neuesten Spaß der Superreichen aufmerksam. Denn Bezos hat ein Problem mit seiner Jacht. Sein Dreimaster wird in Rotterdam gebaut. Er ist mit 40 Metern zu hoch für die historische Koningshaven-Brücke.

Bei ihr handelt sich um eine Stahlbrücke aus dem Jahr 1878. Nach ihrer Zerstörung bei einer deutschen Bombardierung im Zweiten Weltkrieg wurde der Wiederaufbau der Brücke nach dem Krieg zügig durchgeführt. Nun will Bezos die Brücke für die Durchfahrt seiner gigantischen Jacht ab- und wieder aufbauen lassen. Die Kosten wollen er und die Reederei übernehmen. So lautete die Nachricht. Der Bürgermeister von Rotterdam hat sie inzwischen dementiert.

Das Wettrennen um die größte, schnellste und teuerste Superjacht führt uns vor Augen, dass sich seit rund 2600 Jahren nur wenig geändert hat im menschlichen Verhalten. Die Götzen unserer Welt sind immer noch: Weisheit, Stärke und Reichtum. Bei der Weisheit, wie sie in unserem Text gemeint ist, handelt es sich um eine Weisheit, die der Karriere dient. Bei Männern wie Bezos oder Elon Musk, der zurzeit eine Giga-Fabrik für Tesla in Brandenburg baut, würde ich von Wissen reden. Von Wissen, das einem hilft, mit technischen Erneuerungen und mit Geldanlagen an der Börse ultrareich zu werden.

Wer reich ist, ist stark. Der kann seinen Willen mit Geld durchsetzen. Je mehr Geld jemand hat, umso stärker ist er. Das wird wohl auch der Rotterdamer Bürgermeister noch erfahren. Wissen, Stärke und Reichtum sind Götzen unserer Welt. Götzen verlangen nach Opfer. Und wir sind, so wie es den Anschein hat, bereit, diesen Götzen viel, ja alles zu opfern.

Unser Opfer für die Götzen

Das zeigt auch die Vermögenszunahme der Ultrareichen in der derzeitigen Pandemie. Dank boomender Börsen und der Niedrigzinspolitik der Notenbanken haben die Reichen und Superreichen mehr Geld gescheffelt denn je. Allein die zehn reichsten Milliardäre haben in den Corona-Jahren ihr Vermögen von 700 Milliarden US-Dollar auf 1,5 Billionen Dollar verdoppelt. „Für Milliardäre gleicht die Pandemie einem Goldrausch“, kommentierte Oxfam im Januar auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos diese Entwicklung. Oxfam ist ein internationaler Verbund verschiedener Hilfs- und Entwicklungsorganisationen.

Während sich also das Vermögen der zehn reichsten Milliardäre verdoppelte, riss die Pandemie weitere 160 Millionen Menschen in die Armut. Oxfam forderte daher die Regierungen auf, Konzerne und Superreiche stärker zu besteuern. Zudem sollte unsere Wirtschaft so umgesteuert werden, dass sie nicht mehr den Reichen, sondern dem Gemeinwohl dient. Ich nehme derzeit in unserer bedrohten Welt keine Regierung wahr, die das ernsthaft versucht. Stattdessen wird den Götzen Wissen, Stärke und Reichtum weiter geopfert.

Gott oder die Götzen?

Wem wollen wir dienen? Wem wollen wir opfern? Gott begehrt durch seinen Propheten Jeremia hierauf eine Antwort. Man kann die Frage auch anders stellen: Was zählt wirklich für dich? Sind es die Götzen dieser Welt oder Gott?

Dass zwischen diesen Götzen und Gott ein himmelweiter Unterschied besteht, daran lässt unser Predigttext keinen Zweifel. Wissen oder Weisheit, Stärke und Reichtum nutzen wir Menschen zuallererst für uns selbst. Wir selbst wollen weiterkommen, Karriere machen, unseren Besitz vergrößern. Das Wohl unserer Mitmenschen hat, wenn überhaupt, nur eine untergeordnete Bedeutung. Und je reicher wir werden, desto mehr entfernen wir uns vom Wohl unserer Mitmenschen. Das veranschaulicht eine chassidische Geschichte, auf die ich während meiner Predigtvorbereitung stieß:

„Ein Beter kommt zu seinem Rabbi, um ihm zu erzählen, dass einer, der ihm bisher regelmäßig ein Almosen hat zukommen lassen, nichts mehr gibt. Denn der Geber sei durch ein gutes Geschäft ein reicher Mann geworden. Wie sei das möglich? Jetzt, wo er doch reich ist, würde ihn das kleine Almosen doch viel weniger kosten als zuvor.

Der Rabbi bittet ihn ans Fenster zu treten, und fragt, was er sieht. Der Beter beschreibt das Treiben auf der Straße. Dann soll er sich vor den Spiegel im Schrank stellen und ihm sagen, was er sieht. Der Beter sagt natürlich, dass er nur sich selbst sieht. Der Rabbi erläutert ihm: Fenster und Spiegel sind beides eine Glasscheibe. Aber kommt etwas Silber dahinter, dann sieht man nur noch sich selbst.“

Schauen wir nur auf uns selbst, gibt es vor Gott nichts, wofür wir uns rühmen könnten. Unser Wissen, unsere Stärke, unser Reichtum haben vor dem Herrn keinen Wert, wenn wir sie nur für unser eigenes Fortkommen verwenden. Gott entlarvt sie als das, was sie in Wahrheit sind: unsere menschengemachten Götzen, für die wir bereit sind, alles zu opfern. Den Frieden in und zwischen den Staaten, die uns anbefohlenen Mitgeschöpfe, das Leben auf diesem Planeten, die uns nachfolgenden Generationen, alles sind wir bereit zu opfern für diese Götzen.

Draußen bei den Menschen

Unser selbstzerstörerischer Götzendienst wird für uns dieselben katastrophalen Folgen haben wie der Götzendienst der Menschen im Königreich Juda. Diese Unheilsbotschaft teilt uns heute Gott durch seinen Propheten Jeremia mit. Mit ihr werden wir aber zugleich aufgefordert, klug zu sein und umzukehren. Denn der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, der Vater Jesu Christi ist unser Herr. Und unser Herr wirkt in unserer bedrohten Welt, indem er Barmherzigkeit, Recht und Gerechtigkeit ausübt.

Gott übt das durch uns aus. Durch Menschen, die ihn kennen. Deshalb sind zuallererst wir aufgefordert, unseren Mitmenschen gegenüber barmherzig zu sein und unser Handeln am Maßstab des Rechts und der Gerechtigkeit auszurichten.

Zudem sind wir aufgefordert, uns für Barmherzigkeit, Recht und Gerechtigkeit auch in unserer Gesellschaft einzusetzen. Auch wenn das manche unter uns nicht so gerne hören: Das ist unser politischer Auftrag als Christinnen und Christen. Diesen Dienst haben wir im Namen unseres Herrn für unsere Mitmenschen und Mitgeschöpfe zu leisten. Dann, erst dann dürfen wir uns auch rühmen. Denn wir stehen nicht mehr vor dem Spiegel und betrachten nur uns selbst. Wir stehen auch nicht mehr am Fenster und beobachten das Treiben auf der Straße. Wir sind draußen, draußen bei den Menschen. Dort draußen ist Gott bei uns. Dort draußen sagt er uns:

„Das gefällt mir!“