2. Advent, 6.12.2020
Predigt zu Jakobus 5,7-8
Dr. Roland Liebenberg
Die Geisteskraft der Geduld
Geduldig bis zum Kommen des Herrn
Der Predigttext steht im Jakobusbrief im 5. Kapitel. Dort lauten die Verse 7 und 8:
So seid nun geduldig, liebe Geschwister, bis zum Kommen des Herrn. Siehe, der Bauer wartet auf die kostbare Frucht der Erde und ist dabei geduldig, bis sie empfange den Frühregen und den Spätregen. Seid auch ihr geduldig und stärkt eure Herzen. Denn das Kommen des Herrn ist nahe.
Probleme mit der Rede von Geduld
„Die Rede von Geduld […] ist für mich wie ein rotes Tuch. Ich höre ‚Geduld‘ und verstehe: es geht um Vertröstung und um Ertragen erdrückender Zustände.“ Mit diesen Worten beginnt die Theologin Aline Seel ihre Auseinandersetzung mit unserem Predigttext. Sie verweist auf die Geschichte der Frauen. Denn gerade ihnen wurde immer wieder Geduld empfohlen, „mit dem Ergebnis, dass sie sich kleinmachten und zuhause blieben“.
Die Aufforderung, geduldig zu sein, diente in der Regel dazu, der Frau den Platz unter dem Mann zuzuweisen. Mit Geduld sollte sie ihre kleinen Arbeiten im Hause verrichten, während der Mann draußen mit seiner großen und angeblich wichtigen Arbeit die Welt erobert. Und sollte der Mann bei seinen Eroberungen über die Stränge schlagen, hatte sein Weib dies geduldig zu ertragen.
Die Aufforderung, geduldig zu sein, stieß auch bei Christinnen und Christen gegen Ende des 1. Jahrhunderts auf Ablehnung. Denn lange Zeit warteten sie bereits auf die Wiederkunft des Herrn. Bei vielen war die Geduld verbraucht. Sie glaubten nicht mehr daran, dass Jesus als Richter wiederkommt. Das dürfte bei uns kaum anders sein. Was fangen wir nach beinahe 2.000 Jahren des Wartens mit der Aufforderung an, geduldig zu sein? Wer nimmt sie noch ernst?
Geduld als Gabe Gottes
Mit Geduld als Instrument der Unterdrückung oder Mittel der Vertröstung kann auch ich nichts anfangen. Wer so von der Geduld redet, stößt bei mir auf Widerspruch. Mein Widerspruch geht in unserem Predigttext jedoch ins Leere. Denn der Jakobusbrief hat ein anderes Verständnis von Geduld. Das zeigt die nähere Betrachtung des griechischen Originaltextes.
Im Jakobusbrief wird für Geduld nicht das im Neuen Testament geläufige Wort Hypomone verwendet. Die Hypomone bezeichnet das Warten und Ausharren. Und das kann als ein Ausharren in ungerechten Verhältnissen oder als ein Warten auf den St. Nimmerleinstag gedeutet werden. Unser Text gebraucht die seltenere Verbalform von Makrothymia. Dieses Wort wird im Neuen Testament als Bezeichnung für Gottes Geduld und Langmut gegenüber den fehlerhaften Menschen verwendet.
Geduld versteht der Jakobusbrief als eine göttliche Geisteskraft. Damit steht er im Einklang mit Paulus. Im 5. Kapitel des Galaterbriefes hält der Apostel fest: „Die Frucht der göttlichen Geisteskraft ist Liebe, Freude, Friede, Geduld“. Gott selbst stellt sich im 2. Buch Mose als geduldig vor. Bei der abermaligen Anfertigung der Gesetzestafeln spricht Gott zu Mose: „Ich habe Geduld, meine Güte und Treue sind grenzenlos.“ (2 Mose 34,6)
Es geht dem Jakobusbrief also um ein Geduldig-Sein am Beispiel Gottes. Die so verstandene Geduld ist eine Gabe Gottes, eine göttliche Geisteskraft. Gott verleiht uns die Kraft der Geduld. Die Aufforderung, geduldig zu sein, verstehe ich daher zunächst als Aufforderung unsere Ohren und Herzen offen zu halten für die Gabe der Geduld. Als Aufforderung, in der Bibel zu lesen und auf das gepredigte Wort zu hören.
Geduldiges Vertrauen
Was passiert, wenn Gott uns die Geisteskraft der Geduld schenkt? Dann macht das Warten auf das Kommern des Herrn wieder Sinn. Denn wir bewerten das Warten nicht mehr nach unseren Maßstäben. Nicht unser Zeitempfinden zählt, sondern Jesu Absicht wieder zu kommen. Die Geisteskraft der Geduld lehrt uns, von uns und unserem Wünschen und Wollen abzusehen. Sie lehrt uns, dass nur eines wichtig ist: der Zusage des Herrn zu vertrauen.
Wann der Herr kommen wird, spielt deshalb für uns keine Rolle. Was zählt ist, dass er kommt. Geduldig zu sein heißt: der Zusage des Herrn zu vertrauen, auch wenn unsere Erfahrungen ihr widersprechen.
Geduldiges Handeln
Gott verleiht uns mit der Geduld nicht nur die Kraft von uns abzusehen und der Zusage des Herrn zu vertrauen. Die Geisteskraft der Geduld hat auch Folgen für unser alltägliches Handeln. Sie stärkt unsere Herzen, teilt uns der heutige Predigttext mit. Das heißt: Sie richtet unsere Herzen an der Liebe Gottes aus. Und das erkennt man an unseren Taten.
Die Geisteskraft der Geduld ermutigt uns dazu, solidarisch und gerecht zu leben. Das ist dem unbekannten Schreiber des Jakobusbriefes besonders wichtig. „Wenn der Glaube nicht mit Taten verbunden ist“, hält er im zweiten Kapitel fest, „dann ist er tot“. (Jak 2,17) Wenn unsere Herzen gestärkt und mit Liebe erfüllt sind, dann zeigt sich das auch in unseren Taten.
Heute, am Nikolaustag, will ich Ihnen das mit einer Nikolauslegende verdeutlichen. In ihr geht es um einen reichen Mann. Sein Reichtum hat ihn von Gott und seinen Mitmenschen entfernt. Im Jakobusbrief wird den Reichen das Gericht prophezeit. (Jak 5,1-6) Denn sie tun sich in der Regel besonders schwer, solidarisch und gerecht zu leben.
Nikolaus und der reiche Kaufmann
Der reiche Mann in unserer Legende lebte als Kaufmann in Myra. Obwohl es ihm gut ging mit dem, was er besaß, war er unzufrieden. Denn er wollte noch mehr haben. Eines Tages begegnete er dem Teufel. Der bot dem Kaufmann an, ihn über alle Maßen reich zu machen. Er müsse ihm dafür nur sein Herz geben. Der Teufel bot ihm dafür ein steinernes Herz an.
Der Kaufmann willigte ein. Von nun an war sein ganzes Denken, Reden und Handeln darauf bedacht, noch mehr Geld anzuhäufen. Er bot Menschen in Not Kredite mit Wucherzinsen an. Es war ihm egal, wenn sie dadurch Haus und Hof verloren. Bald war er der reichste Mensch weit und breit. Doch die Menschen in Myra hassten ihn. Niemand wollte mehr etwas mit ihm zu tun haben. Mit der Zeit lag ihm das steinerne Herz schwer in der Brust. Der Kaufmann wurde immer trauriger. Einsam lief er durch die Gassen von Myra. Da begegnete er Bischof Nikolaus. „Was bedrückt dich, Bruder?“, fragte er den Kaufmann. Der erzählte ihm sein Leid. „Es gibt eine einfache Medizin, die dich heilen kann“, sagte Nikolaus. „Aber wie manche gute Medizin, wird sie dir bitter schmecken.“ „Ich würde dir für eine solche Medizin geben, was immer du verlangst“, versprach der Kaufmann. „Ich brauche nichts, mein Lieber“, sagte Nikolaus. „Geh zu den Armen, zu den Kranken, zu denen, die auf der Straße leben. Gib ihnen von deinem Überfluss und lindere ihre Leiden. Dann wird dein steinernes Herz mehr und mehr schmelzen.“
Anfangs tat sich der Kaufmann schwer, sein Geld den Armen zu geben. Von Mal zu Mal fiel es ihm aber leichter, mit seinem Geld bedürftigen Menschen zu helfen. Er spürte, wie es ihm immer wärmer ums Herz wurde. Als er kein Geld mehr hatte, war sein steinernes Herz verschwunden. Es schlug wieder ein Menschenherz in seiner Brust. Da er selbst nun nichts mehr besaß, wurde er oft eingeladen. Selbst die Armen teilten ihr Brot mit ihm. Er hatte nun viele Freunde in der Stadt.
Als er in Frieden starb, kam die ganze Stadt zu seiner Beerdigung. Bischof Nikolaus hielt die Predigt und lobte seine guten Taten. Für den Bischof von Myra war der Kaufmann zu einem wahrhaften Christen geworden. Zu einem Christen, der zu Gott umkehrte und sein Leben änderte. Der sein Herz von Gottes Liebe stärken ließ. Dem es darum möglich war, solidarisch und gerecht zu leben.