Lesepredigt Erntedank 2020

Predigt zu Markus 8,1-9
Dr. Roland Liebenberg


Das Wohl aller Die Speisung der Viertausend

Der Predigttext für den heutigen Sonntag steht bei Markus im 8. Kapitel. Dort wird erzählt:
Als wieder eine große Menge da war und sie nichts zu essen hatten, rief Jesus die Jünger zu sich und sprach zu ihnen: Mich jammert das Volk, denn sie harren nun schon drei Tage bei mir aus und haben nichts zu essen. Und wenn ich sie hungrig heimgehen ließe, würden sie auf dem Weg verschmachten; denn einige sind von ferne gekommen. Seine Jünger antworteten ihm: Woher nehmen wir Brot hier in der Einöde, dass wir sie sättigen? Und er fragte sie: Wie viele Brote habt ihr? Sie sprachen: Sieben.
Und er gebot dem Volk, sich auf die Erde zu lagern. Und er nahm die sieben Brote, dankte, und brach sie und gab sie seinen Jüngern, dass sie sie austeilten. Und sie teilten sie unter das Volk aus. Sie hatten auch einige Fische. Und er sprach den Segen darüber und ließ auch diese austeilen.
Und sie aßen und wurden satt. Und sie sammelten die übrigen Brocken auf, sieben Körbe voll. Es waren aber viertausend. Und er ließ sie gehen.

Angst vor einem neuen Lockdown

Nur ja nicht wieder ein Lockdown wie Mitte März! Diesen Wunsch haben nicht nur Politiker an den Schalthebeln der Macht. Ich gehe davon aus, dass auch Sie keine Lust auf eine Wiederholung haben. Deshalb nimmt die Mehrheit von uns die noch bestehenden Einschränkungen hin, auch wenn sie ab und an ein Kopfschütteln verursachen. Nein, so wie im Frühjahr soll es nicht mehr werden.
Meine negative Sicht des Lockdowns wird vor allem von einem Bild bestimmt: den Hamsterkäufen. Als das öffentliche Leben zum Stillstand kam, stürmten die Kunden die Toilettenpapier-Regale in den Supermärkten. Auch wenn mir Psychologen erklären, dass die Menschen so handelten, weil sie sich vom Corona-Virus bedroht fühlten, ändert das nichts an meiner negativen Sichtweise. Auch wenn man sich bedroht fühlt, sollte man nicht nur an sein eigenes Wohl denken.
Ich weiß, das ist ein hoher Anspruch. Und ich bin mir nicht sicher, ob ich ihn selbst erfülle. Doch halte ich den Anspruch, auch an das Wohl meiner Mitmenschen zu denken, für unbedingt notwendig. Nur so ist ein gedeihliches Miteinander möglich. Geben wir diesen Anspruch auf, dann schlagen wir uns irgendwann gegenseitig die Köpfe ein.

Das Wohl aller

Das Wohl aller, das ist ein Grundgedanke des Erntedankfestes. „Aller Augen warten auf dich, und du gibst ihnen ihre Speise zur rechten Zeit.“ So lautet der Tagesspruch aus Psalm 145 für das Erntedankfest. Alle Menschen, nicht nur eine kleine Schar Auserwählter, die das Glück hat, am richtigen Ort zu leben, will Gott speisen. Die Erzählung von der Speisung der Viertausend im Markusevangelium entfaltet diese Absicht.
In Scharen zieht es die Menschen zu Jesus. In der Erzählung wird betont, dass es sich dabei nicht nur um Einheimische handelt. „Von ferne“ sind einige gekommen, wird da berichtet. Menschen aus nah und fern kommen zu Jesus, um sein Wort zu hören. Jesu Wort ist ein Wort für alle Menschen. Denn Gottes Liebe kennt keine Grenzen. Die Seelen aller Menschen sollen satt werden, sollen die liebende Zuwendung Gottes erfahren.
Dass Gottes Zuwendung auch unserem leiblichen Wohl gilt, verdeutlicht Jesus im Gespräch mit den Jüngern: „Mich jammert das Volk, denn sie harren nun schon drei Tage bei mir aus und haben nichts zu essen.“ Gottes liebende Zuwendung hat das Wohl der Seele und des Leibes im Blick. Beides hängt untrennbar zusammen. Leidet unsere Seele, dann leidet früher oder später auch unser Körper. Umgekehrt verhält es sich genauso. Wer Hunger leidet, dessen Seele verkümmert. Deshalb achtet Jesus darauf, dass alle Frauen und Männer zu essen bekommen.
Dass wirklich alle satt werden sollen, deuten auch die sieben Brote und Körbe an. Sieben Brote werden die an die Menschen verteilt. Und nach der Speisung bleiben sieben Körbe mit Brotbrocken übrig. Die Zahl Sieben steht für die Schöpfung. Sie steht für alles Leben auf unserem Planeten. Gottes liebende Zuwendung, teilen uns die sieben Brote und die sieben Körbe mit, gilt allem Leben. Sie gilt der gesamten Schöpfung, den Menschen, den Tieren und den Pflanzen.
Die vollen Körbe nach der Speisung können zudem als ein Hinweis gedeutet werden, dass auch die uns nachfolgenden Generationen von Menschen, Tieren und Pflanzen satt werden sollen. Gottes liebende Zuwendung gilt auch ihrem zukünftigen Wohl. Sie ist nachhaltig.

Unser Beitrag zum Wohl aller

Nun könnte ich natürlich sofort aufzeigen, wo wir in unserem Alltag der liebenden und nachhaltigen Zuwendung Gottes nicht gerecht werden. Dass wir an unserer Lebensweise etwas ändern müssen, dürfte angesichts der Klimakatstrophe und der vielen anderen Krisen jeder und jedem von uns klar geworden sein. Doch ist das nur eine Seite der Medaille. Denn vielen, sehr vielen Menschen liegt das seelische und leibliche Wohl ihrer Mitmenschen und Mitgeschöpfe am Herzen. Sie tun etwas für das Wohl aller. Auch bei uns.
Um unser seelisches Wohl kümmern sich zum Beispiel unsere beiden Posaunenchöre. Mit ihrer Musik verkünden sie in Ton und Schall von der Liebe Gottes. Wie karg und armselig wären unsere Gottesdienste ohne Musik. Und wie gut tut es unseren Seelen, wenn die Bläserinnen und Bläser ihre Musik anstimmen. Zum Wohl unserer Seelen lernten sie mühsam, auf ihren Blasinstrumenten zu spielen. Und zum Wohl unserer Seelen üben sie Woche für Woche ihre Stücke ein.
Dass vielen unter uns mit dem seelischen auch das leibliche Wohl ihrer Mitmenschen am Herzen liegt, wurde mir in der vergangenen Woche bewusst. Am Mittwoch nahmen wir in Regelsbach von einem Gemeindeglied Abschied. Die Verstorbene war hochbetagt und blind. Sie benötigte Hilfe, um ihre letzte Wegstrecke zu Hause gehen zu können. Dafür sorgte vor allem ihre Familie. Unterstützung erfuhr sie aber auch von ihrer Nachbarschaft und der Regelsbacher Nachbarschaftshilfe. Auch sie sorgten mit ihrem Engagement für ihr leibliches Wohl.
Das sind nur zwei Beispiele von vielen, die ich noch nennen könnte. Der Mehrheit unter uns liegt das seelische und leibliche Wohl ihrer Mitmenschen und Mitgeschöpfe am Herzen. Auf vielfältige Art und Weise kümmern sie sich in ihren Familien, in ihrer Nachbarschaft, in ihren Kirchengemeinden, in Vereinen oder Gemeinderäten um das Wohl ihrer Mitmenschen und Mitgeschöpfe. Ich bin mir sicher, dass Ihnen bestimmt ohne langes Nachdenken weitere Beispiele einfallen.
Leider reden wir viel zu selten darüber, wie viele Menschen sich für das Wohl aller einsetzen, wie vielen das seelische und leibliche Wohl ihrer Mitmenschen und Mitgeschöpfe am Herzen liegt. Heute, am Erntedankfest soll das anders sein. Heute ermuntert uns die Erzählung von der Speisung der Viertausend darüber zu reden. Darüber zu reden, dass Gottes Gaben für das seelische und leibliche Wohl aller gedacht sind. Und dass sich viele Menschen für das Wohl aller einsetzen. Das ist die wunderbar positive Botschaft des Erntedankfestes. Wer sie in sein Herz lässt, verliert die Angst, zu kurz zu kommen und kommt gar nicht auf die Idee Toilettenpapier zu hamstern.