Pfingstfest der Region 2022
Gottes Geist in der Region
Predigt zur Pfingsterzählung (Apg 2)
Pfr.Dr. Roland Liebenberg
Regionalisierung
Liebe Gemeinde, liebe Geschwister aus der Region, wir stehen vor einschneidenden Veränderungen. Die Pfarrstellen in unserer Region werden gekürzt. Obwohl seit Jahrhunderten stabil, wird die Zahl der Gemeindeglieder in unseren Kirchengemeinden als zu gering erachtet. Seit Herbst vergangenen Jahres beraten die Kirchenvorstände in unseren Kirchengemeinden, wie sie mit den Folgen der Kürzung umgehen wollen. Klar ist: Wir müssen näher zusammenrücken und mehr miteinander machen. Das betrifft alle Handlungsfelder, nicht nur die Jugend- oder Öffentlichkeitsarbeit.
Das Zauberwort heißt: Regionalisierung. Die verbleibenden Pfarrerinnen und Pfarrer werden ihre Arbeit nicht mehr nur auf ihre Kirchengemeinden konzentrieren. In Zukunft sollen sie miteinander in der Region arbeiten und für bestimmte Aufgaben zuständig sein.
Ländliche Grenzen
Wird die geplante Regionalisierung klappen? Werden die Gemeindeglieder in den Kirchengemeinden die damit verbundenen Veränderungen nicht nur zähneknirschend akzeptieren? Werden sie die Zusammenarbeit auch aktiv mitgestalten?
Ich arbeite jetzt beinahe zehn Jahre in Regelsbach und Gustenfelden. Seitdem war ich auch immer wieder in der Region als Pfarrer unterwegs. Unser Pfingstfest der Region feiern wir seit dem Jahr 2013. In diesen Jahren habe ich viele Menschen kennen und schätzen gelernt. Von ihnen erfuhr ich einiges über unsere Region. Über das Miteinander der Menschen, das über Dorfgrenzen hinwegreicht. Und über die Rivalitäten, die zwischen den einzelnen Ortschaften herrschen. Diese reichen zum Teil weit in die Vergangenheit zurück.
Vor acht Jahren weihte ich den Krippenanbau für die „Bienengruppe“ in der Kindertagesstätte Rohr ein. Nach der Andacht nahm mich ein älterer Herr bei der Hand und führte mich hinaus. Als wir draußen waren, zeigte er auf eine Wiese. „Wissen sie, was das ist, Herr Pfarrer?“, fragte er mich. Mir war klar, dass er nicht die Wiese meinte. Ich sagte: „Nein. Aber Sie werden es mir sicher gleich sagen.“ „Das wäre das Gelände für die Schule gewesen. Die Schule, die jetzt in Regelsbach steht.“ Noch nach Jahrzehnten schmerzte den Mann, dass die Grundschule Rohr nicht in Rohr, sondern in Regelsbach gebaut wurde. Umgekehrt haderten zu dieser Zeit nicht wenige Regelsbacher damit, dass sie keinen Kindergarten vor Ort haben. Dass die Regelsbacher Kinder nach Rohr gebracht werden müssen.
Als ich hier in der Region zu arbeiten anfing, schüttelte ich über die Rivalität zwischen den beiden Rohrer Ortschaften nur den Kopf. Ich nahm sie nicht ernst. Ich dachte, dass derartige Rivalitäten nur die Alten betreffen. Und dass sie mit der Zeit vergehen werden. Inzwischen weiß ich, dass dies nicht der Fall ist.
Natürlich kann man sich näherkommen und zusammenwachsen. Das habe ich in den vergangenen Jahren in den Kirchengemeinden Gustenfelden und Regelsbach hautnah miterleben dürfen. Die vereinbarte Kooperation zwischen den beiden Kirchengemeinden klappt hervorragend. Es gab und gibt aber auch Grenzen. Vor allem, wenn es um die Zusammenarbeit mit der Kirchengemeinde Rohr geht.
In den vergangenen beiden Jahren planten wir einen dreigemeindlichen Zweckverband für die Kindertagesstätte in Rohr. Er kam nicht zustande. Mein Rohrer Kollege und ich haben viel Zeit und Überzeugungsarbeit in dieses Projekt investiert. Allein, es war nichts zu machen. Die bestehenden Grenzen zwischen den Rohrer Ortschaften konnten wir nicht überwinden. Diese Grenzen bestehen nicht nur in Rohr. Ich denke, dass es solche Grenzen auch in Kammerstein und Barthelmesaurach gibt. Das zeigte der vergangene, teilweise heftig geführte Schulstreit.
Ein Sprachen- und Hörwunder
Die geplante Regionalisierung wird also alles andere als leicht werden. Appelle allein werden nicht reichen, um die Gemeindeglieder zu überzeugen. Wird die Regionalisierung als unvermeidliche Notwendigkeit erzwungen, wird die Bereitschaft zur Mitarbeit bei den Menschen vor Ort nicht sehr hoch sein. Die bestehenden Grenzen werden so ganz sicher nicht überwunden. Im Gegenteil, übt man Zwang aus, werden sie weiter verstärkt.
Wenn die Menschen in unseren Kirchengemeinden nicht von sich aus bereit sind, an der Regionalisierung mitzuarbeiten, wird sie scheitern. Was aber kann die Bereitschaft zur Mitarbeit auslösen? Wer kann die Menschen dazu bringen, die vorhandenen Grenzen zu überwinden? Das kann nur Gott allein. Die Pfingsterzählung aus der Apostelgeschichte des Lukas teilt uns mit, wie Gott das zustande bringt.
Menschen aus der ganzen Welt kommen nach Jerusalem. Sie sprechen unterschiedliche Sprachen und repräsentieren verschiedene Kulturen und Traditionen. Auch in Jerusalem leben sie während der Festzeit nebeneinander her und haben nichts miteinander zu tun. Da löst Gottes Geist ein „Sprachen- und Hörwunder“ (Rudolf Pesch) aus. Es kommt zu einer nicht vorhersehbaren Verständigung zwischen den Menschen.
Die babylonische Sprachenverwirrung der Menschen, die Zerrissenheit der Welt wird von Gott aufgehoben. Gottes Geist macht die Menschen aber nicht gleich. Ihre kulturellen, nationalen und sprachlichen Unterschiede bleiben bestehen. Petrus und die anderen Jüngerinnen und Jünger sprechen keine Einheitssprache. Gottes Geist lässt sie alle Sprachen der Welt sprechen. Die Menschen auf der Straße wundern sich, dass Petrus und die anderen ihre Sprache sprechen. Sie vernehmen von ihnen die Botschaft von Gottes großen Taten in ihrer Sprache.
Gottes Geist lehrt die Menschen kein Esperanto. Die Menschen werden in ihrer Unterschiedlichkeit und Vielfalt belassen. Was sie miteinander verbindet, ist die in ihrer Sprache verkündete Botschaft von Gottes großen Taten. Was sie miteinander verbindet, ist ihr Glaube an Gott. Darum geht es in der Pfingsterzählung. Das ist das „Wunderbare“ an Pfingsten. Das „Brausen vom Himmel her“ und die sich teilenden Feuerzungen sind nur Beiwerk. Bei ihnen handelt es sich um die hörbaren und sichtbaren Zeichen der Herabkunft des Geistes. Entscheidend ist und bleibt die frohe Botschaft. Mit ihr verbindet Gottes Geist die Menschen.
Die frohe Botschaft vor Ort
Welche Schlussfolgerungen können aus der Pfingsterzählung für die geplante Regionalisierung gezogen werden?
Alle Bemühungen um ein Miteinander in der Region haben von Pfingsten her betrachtet nur ein einziges Ziel: die Verkündigung der frohen Botschaft vom barmherzigen Vater Jesu Christi. Konzentrieren wir uns vor allem darauf, dann wird Gottes Geist uns über alle Dorfgrenzen hinweg zu einer Gemeinschaft von glaubenden Brüdern und Schwester verbinden. Dann spielen die bestehenden Grenzen und Rivalitäten nur eine untergeordnete Rolle. Alle Bemühungen in der Region sollten daher vor allem darauf abzielen, die Verkündigung vor Ort sicherzustellen. Das andere ist zwar auch wichtig, steht aber an zweiter Stelle.
Wird im Prozess der Regionalisierung auf die frohe Botschaft vor Ort geachtet, dann werden die unausweichlichen Grenzkonflikte nicht so sehr ins Gewicht fallen. Gottes Geist wird euch helfen, die Dorfgrenzen und Rivalitäten auszuhalten. Und nach nicht allzu langer Zeit werdet ihr merken, dass ihr eigentlich ganz gut miteinander auskommt, dass ihr gerne zusammen seid und euch über das Miteinander freut. Ich habe das in meiner Zeit als Pfarrer der Kirchengemeinden Gustenfelden und Regelsbach mit großer Freude erlebt. Wieso soll Gottes Geist das nicht auch in der Region zustande bringen