31. Mai 2020
Predigt zu Apostelgeschichte 2,1-21
Pfr. Dr. Roland Liebenberg
Christusgemeinschaft
Pfingsten – Ende der Osterzeit
Heute endet die Osterzeit, liebe Gemeinde. Am fünfzigsten Tag (griechisch Pentekoste, wovon sich das Wort „Pfingsten“ ableitet) nach Ostern beginnt eine neue Etappe im Kirchenjahr.
Vierzig Tage erschien der Auferstandene Herr seinen Jüngerinnen und Jüngern. So festigte er in ihnen den Glauben an die Auferstehung, den Glauben an die Gemeinschaft mit Gott über den Tod hinaus. Zugleich bereitete er sie auf seinen Abschied am Himmelfahrtstag vor. Auf einen Abschied, der zugleich eine neue Gemeinschaft begründen sollte.
In der Osterzeit bereiteten auch wir uns mit den Jüngerinnen und Jüngern auf den heutigen Tag vor. Wir hörten in den Lesungen vom Kommen des Geistes. Nach Jesu Erhöhung ist es der Heilige Geist, der die Gemeinschaft herstellt; die Gemeinschaft mit unserem Bruder und Herrn Jesus Christus und die Gemeinschaft zwischen uns. Der Heilige Geist verbindet uns zu einer Christusgemeinschaft.
Ausgießung des Heiligen Geistes
Daran kann das Wirken des Heiligen Geistes erkannt werden: dass sich Menschen über alle Grenzen hinweg zur einer Christusgemeinschaft verbinden. Davon erzählt der Pfingstbericht aus dem 2. Kapitel der Apostelgeschichte.
Die Jüngerinnen und Jünger sind in einem Haus versammelt. Sie feiern das jüdische Wochenfest (hebräisch Schawuot), das 50 Tage nach dem Passafest stattfindet. Im Haus empfangen sie die Gabe des Heiligen Geistes. Das befähigt sie, in anderen Sprachen zu reden. Die Festpilger, die zum Wochenfest von überallher nach Jerusalem gekommen sind, laufen zusammen und sind bestürzt. Sie hören die Jüngerinnen und Jünger in ihrer Muttersprache reden.
Gegen den Vorwurf der Trunkenheit setzt sich Petrus mit seinem ersten öffentlichen Auftritt zur Wehr. Er weist die versammelten Festpilger auf den Propheten Joel hin. Dieser hatte die Ausgießung des Geistes prophezeit. Dann verkündet Petrus den Tod und die Auferstehung des Herrn.
Die Menge ist ergriffen und fragt Petrus: „Was sollen wir tun?“ Petrus fordert sie zur Umkehr und zur Taufe auf. Dreitausend Menschen lassen sich auf den Namen Jesu taufen. Der Ausgießung des Heiligen Geistes folgt die Bildung einer Christusgemeinschaft. In Jerusalem gründet sich die erste christliche Gemeinde.
Das Wirken des Geistes
Der Heilige Geist verbindet Menschen zu einer Christusgemeinschaft. An diesem Vorgang kann man das Wirken des Geistes festmachen. Dass wir heute trotz der Einschränkungen, trotz des Abstands, trotz des Mundschutzes hierher in diesen Gottesdienst gekommen sind, dass es uns dennoch ein inneres Anliegen war, uns heute dafür Zeit zu nehmen, ist dem Wirken des Heiligen Geistes zu verdanken.
Wir sind hierhergekommen, weil wir uns nach der Gemeinschaft mit unserem Bruder und Herrn sehnen. Weil wir sein Wort hören, unser Leben mit ihm gestalten und seinem Weg nachfolgen wollen. Der Heilige Geist führt uns zu Christus. Der Heilige Geist stellt die Gemeinschaft mit Christus her. Allein daran ist sein Wirken zu erkennen.
Das sollte man sich klar machen, wenn man vom Heiligen Geist redet. Denn es ist nicht irgendein Geist, der in uns wirkt. Es ist der Geist unseres Herrn. „Ihr werdet die Kraft des Heiligen Geistes empfangen, der auf euch kommen wird“, versprach Jesus seinen Jüngerinnen und Jüngern vor seiner Erhöhung in der Apostelgeschichte. Dann fährt er fort: „und werdet meine Zeugen sein […] bis ans Ende der Welt.“
Christus stellt mit dem Heiligen Geist die Christusgemeinschaft mit sich und unter uns her. Und als Glieder dieser Gemeinschaft werden wir zu seinen Zeugen. Erfüllt vom Geist verkünden wir unseren Mitmenschen die Osterbotschaft, wie das Petrus bei seinem ersten Auftritt tat. Und wir zeigen durch unser Reden und Handeln, was es heißt, der Christusgemeinschaft anzugehören.
Das Wohlstandsevangelium der Evangelikalen
Ständig vom Geist zu reden heißt noch lange nicht, dass der Geist des Herrn am Wirken ist. Das wurde mir deutlich, als ich mich mit dem brasilianischen Prediger Silas Malafaia beschäftigte. Er leitet die Pfingstkirche „Vitoria em Cristo“ (Sieg in Christus) und steht in enger Beziehung zum rechtsradikalen brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro.
Wie in den Vereinigten Staaten weiß auch der brasilianische Präsident viele konservative evangelikale Christen hinter sich. 73 Prozent von ihnen stimmten bei der letzten Wahl für Bolsonaro. Sie gehören in ihrer Mehrheit jenen großen evangelikalen Kirchen Brasiliens an, die Woche für Woche medienwirksam ihr Wohlstandsevangelium mit Verweis auf den Heiligen Geist verkünden.
Dabei geht es ihnen nicht um das Wohl ihrer Mitmenschen und Mitgeschöpfe im Hier und Jetzt, um soziale Gerechtigkeit oder die Bewahrung unserer Lebensgrundlagen. Ihnen geht es um ihren persönlichen und finanziellen Erfolg. Je mehr man verdient, je mehr man besitzt, umso höher steht man in der Gunst Gottes. Nach dieser Logik kann sich Bolsonaros Chef-Prediger Silas Malafaia als ein besonderer Günstling Gottes verstehen. „Das Vermögen des studierten Psychologen beläuft sich laut der Zeitschrift Forbes auf rund 150 Millionen US-Dollar.“
Wessen Geistes Kinder Bolsonaro und seine evangelikalen Anhänger auch immer sind, ein Wirken des Heiligen Geistes kann ich bei ihnen nicht erkennen.
Das Zeichen der Taube
Der Theologe Michael Welker hat kürzlich in einem Interview den Heiligen Geist als eine Kraft beschrieben, „die die Menschen befähigt, nach Gerechtigkeit zu streben, und zwar nicht nach irgendeiner abstrakten Gerechtigkeit, sondern nach einer konkreten, die da heißt: Schutz der Schwachen, Nächstenliebe und die Suche nach Freiheit, Wahrheit und Frieden.“ Daran richten die Glieder der Christusgemeinschaft ihr Reden und Handeln aus, angetrieben vom Geist ihres Bruders und Herrn.
Das wollen wir, liebe Gemeinde, in diesem besonderen Jahr auch mit unserer Pfingstaktion zum Ausdruck bringen. Wir schmücken unsere drei Kirchen mit unserer persönlichen Pfingsttaube. Die Taube ist das Zeichen des Heiligen Geistes. Mit unserer Pfingsttaube geben wir zu verstehen:
Wir gehören der Christusgemeinschaft an. Wir folgen unserem Herrn nach. Wir orientieren uns dabei an seiner Liebe zu allen Menschen und Mitgeschöpfen. Wir achten auf die Schwachen und deren Teilhabe am Leben. Wir setzen uns für eine freie, demokratische und offene Gesellschaft ein, in der die politische Macht begrenzt und kontrolliert wird. Wir lieben die Wahrheit und hassen die Lüge. Wir vertrauen auf die Kraft des Wortes, suchen den Frieden und treten für die gewaltfreie Lösung von Konflikten ein. Wir verlieren nie die Hoffnung. Denn erfüllt vom Heiligen Geist sind wir mit unserem Herrn unterwegs.
Was Dietrich Bonhoeffer kurz vor seiner Verhaftung schrieb, gilt auch für uns: „Mag sein, daß der Jüngste Tag morgen anbricht, dann wollen wir gern die Arbeit für eine bessere Zukunft aus der Hand legen, vorher aber nicht.“