31.01.2021
Predigt zu 2 Petr 1,16-19
Dr. Roland Liebenberg
Erfahrung der Herrlichkeit
Ein fiktiver Zeugenbericht
Der Predigttext ist dem zweiten Petrusbrief entnommen. Dort schreibt wohl in der Mitte des 2. Jahrhunderts ein uns unbekannter Autor:
Wir sind nicht ausgeklügelten Fabeln gefolgt, als wir euch kundgetan haben die Kraft und das Kommen unseres Herrn Jesus Christus. Sondern wir haben seine Herrlichkeit mit eigenen Augen gesehen. Denn er empfing von Gott, dem Vater, Ehre und Preis durch eine Stimme, die zu ihm kam von der großen Herrlichkeit: „Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe.“ Und diese Stimme haben wir gehört vom Himmel kommen, als wir mit ihm waren auf dem heiligen Berge.
Umso fester haben wir das prophetische Wort. Und ihr tut gut daran, dass ihr darauf achtet als auf ein Licht, das da scheint an einem dunklen Ort, bis der Tag anbricht und der Morgenstern aufgeht in euren Herzen.
Der falsche Petrus
Die Erzählungen über Jesus sind keine Märchen! Sie sind wahr. Ich kann es bezeugen. Denn ich war dabei. „Ich habe seine Herrlichkeit mit eigenen Augen gesehen!“ Das behauptet unser unbekannter Briefschreiber etwa 120 Jahre nach der dem Auftreten Jesu. Um seinem Anliegen Gewicht zu verleihen, gibt er sich als Petrus aus. Das macht Sinn. Denn Petrus war auch bei der Verklärung Jesu dabei. Nur war das eben der echte Petrus.
Unser Briefschreiber war ganz sicher nicht bei der Verklärung Jesu dabei. Das vermutete schon die Leserschaft des Briefes im zweiten und dritten Jahrhundert. Deshalb war dieser Brief schon damals sehr umstritten. Viele wollten ihn nicht im Gottesdienst und in der Bibel haben. Da konnte der Briefschreiber die Herrlichkeit des Herrn noch so sehr betonen.
Ein selbstbewusster Zeuge
Und doch können wir froh sein, dass sein Brief den Weg in die Bibel gefunden hat. Dem Schreiben kann nicht nur entnommen werden, wie die christlichen Kirchengemeinden in schwierigen Zeiten auf Kurs gehalten wurden. Wie massiv die Konflikte damals waren und wie schonungslos sich die Gegner gegenseitig herunterputzten.
Der umstrittene zweite Petrusbrief liefert auch wichtige Hinweise, wie der christliche Glaube in einer ungläubigen Welt bewahrt werden kann. Das macht ihn auch für uns interessant und aktuell. Denn der christliche Glaube hat es auch in unserer ach so aufgeklärten Welt schwer.
„Was in der Bibel steht, sind doch alles nur Märchen. Ich glaube nur, was ich mit eigenen Augen sehen kann. Alles andere sind Hirngespinste.“ Diese oder ähnliche Sprüche haben wir alle schon einmal gehört. Und wir tun uns in der Regel schwer, dem etwas entgegenzusetzen. Oft ist es uns sogar peinlich, von unserem Glauben zu reden. Denn die Kritiker treten zumeist sehr selbstsicher auf. Sie tun so, als wüssten sie, was in unserer Welt wahr sein kann und was nicht.
Unser Briefschreiber ließ sich dadurch nicht einschüchtern. Er schoss zwar oft über das Ziel hinaus. Etwa, als er den Kritikern des christlichen Glaubens „ein schnelles Verderben“ wünschte. Doch zeigte er seinen Glaubensgeschwistern und mit ihnen auch uns, wie wir den christlichen Glauben glaubwürdig bezeugen können: indem wir auf unsere Glaubenserfahrung verweisen.
Die Notwendigkeit der Erfahrung
Der falsche Petrus war zwar kein Zeuge der Verklärung. Aber er hatte entsprechende Glaubenserfahrungen gemacht. Die in den Evangelien bezeugte Herrlichkeit des Herrn hatte ihn innerlich ergriffen. Vielleicht löste die Botschaft von der Herrlichkeit des Herrn bei ihm ein ähnliches Gefühl der Erlösung und Befreiung aus wie bei Luther, als dieser im Römerbrief die Botschaft vom barmherzigen Gott vernahm.
Für den Glauben braucht es die Erfahrung. Das ist die Botschaft unseres unbekannten Briefschreibers. „Ich habe seine Herrlichkeit mit eigenen Augen gesehen!“ Ja, er hat sie gesehen. Zwar nicht auf dem hohen Berg, den Jesus mit Petrus, Johannes und Jakobus erklomm. Aber mit den Augen seiner Seele hat er sie gesehen. Und was er sah, hat ihn innerlich ergriffen. Der Glaube ist eine innere, existentielle Erfahrung. Wer sie macht, nimmt die Wirklichkeit mit anderen Augen wahr. Wer sie macht, kann die Herrlichkeit und Liebe des Herrn auch in schweren und finsteren Stunden des Lebens wahrnehmen. Ich will Ihnen dazu zwei Beispiele erzählen.
Die Tageslosung
Genau vor einem Jahr erlebte auch ich eine schwere Stunde. An meinem linken Bein wollte eine kleine Verletzung nicht heilen. Ich ging zu meinem Hausarzt. Und der sagte mir gerade heraus, dass es sich um Hautkrebs handeln könnte. Das hat mich auch deshalb erschüttert, weil mein Arzt in der Regel mit seinen Diagnosen richtig liegt.
Das Hautstück musste entfernt und geprüft werden. Nach außen war ich zwar ruhig und gefasst. Innerlich aber war ich nach dem Arztbesuch sehr verunsichert und aufgewühlt. Es war vor allem die Ungewissheit, die mir zu schaffen machte. Deshalb bat ich Gott um ein Zeichen, wie es mit mir weitergeht. Ich öffnete alle meine Sinne für eine Botschaft.
Am nächsten Morgen erhielt ich sie. Es war Mittwoch, der 29. Januar 2020. Ich las die Losung für den Tag und konnte es kaum fassen. Da stand mein Konfirmationsspruch aus dem Jesajabuch: „Das geknickte Rohr wird er nicht zerbrechen, und den glimmenden Docht wird er nicht auslöschen.“ Gott hatte mir ein Zeichen gegeben. Als ich die Tageslosung las, spürte ich in mir die Angst und Unsicherheit weichen. Ich war mir jetzt gewiss, bei Gott geborgen zu sein. Ich hatte eine mich stärkende Glaubenserfahrung gemacht.
Ob die innere Kraft ausgereicht hätte, wenn es Hautkrebs gewesen wäre, kann ich Ihnen nicht sagen. Was ich sagen kann, ist, dass diese Erfahrung vor einem Jahr meinen Glauben stärkte.
Der Entschluss
Das zweite Beispiel führt uns in das Jahr 1934. Am 12. Oktober hatten die Nationalsozialisten Hans Meiser, den Landesbischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern festgenommen und unter Hausarrest gestellt. Die Deutschen Christen hatten mit der Absetzung des Landeskirchenrats und der Verhaftung des Landesbischofs die Macht übernommen. Ihre Absicht war, Schrift und Bekenntnis der nationalsozialistischen Rassenideologie anzupassen. Hierzu war Landesbischof Meiser nicht bereit gewesen.
Der Regelsbacher Pfarrer Heinrich Merklein hielt weiter zum Landesbischof. Einige Tage nach der Festnahme Meisers wurden die Pfarrer des Dekanats zu einer Konferenz nach Schwabach einberufen. Auf der Fahrt dorthin unterhielt sich Pfarrer Merklein mit seiner Ehefrau. Sie wussten nicht, wie sich die anderen Pfarrer angesichts der Drohung, aus dem Dienst entlassen zu werden, verhalten würden. Ihnen war bewusst, was jenen drohte, die weiterhin zu Meiser hielten. Den Erinnerungen Frau Merkleins zufolge sagte ihr Mann während der Fahrt: „Und wenn viele oder fast alle ihre Überzeugung verleugnen, so könnte ich es doch nicht. Auch auf die Gefahr hin, entlassen zu werden und vor dem Nichts zu stehen. Denn umgekehrt wäre es mir doch einfach unmöglich, noch Pfarrer zu sein und zu predigen, wenn ich verleugnet hätte und weiterhin verleugnen müsste.“
Danach wurde es still im Auto. „Auf diesen Entschluß hin“, hielt Frau Merklein fest, „kam eine wunderbare Ruhe über uns, die ich […] gar nicht beschreiben kann. Alle Angst und Sorge war verschwunden und Gottes Hand war über uns. Anders kann ich es kaum ausdrücken, was wir da erlebten.“
Was das Ehepaar Merklein auf der Fahrt nach Schwabach erlebte, war eine innere, eine existentielle Glaubenserfahrung. Eine Erfahrung, die sie festigte. Die ihnen Mut machte, am biblischen Zeugnis festzuhalten. Auch auf die Gefahr hin, dann vor dem Nichts zu stehen. Herr und Frau Merklein konnten das Zeugnis von der Herrlichkeit des Herrn nicht verleugnen. Denn sie hatten diese Herrlichkeit in einer schweren Stunde selbst erlebt.