Lesepredigt 3.Advent


3. Advent, 13.12.2020
Predigt zu Lukas 1,67-79
Dr. Roland Liebenberg

Lobgesang in schweren Zeiten


Der Lobgesang des Zacharias

Der Predigttext steht bei Lukas im ersten Kapitel:


Zacharias wurde vom Heiligen Geist erfüllt, weissagte und sprach: Gelobt sei der Herr, der Gott Israels! Denn er hat besucht und erlöst sein Volk und hat uns aufgerichtet ein Horn des Heils im Hause seiner Dieners David. Wie er vorzeiten geredet hat durch den Mund seiner Propheten, dass er uns errettete von unseren Feinden und aus der Hand aller, die uns hassen, und Barmherzigkeit erzeigte unsern Vätern. Und gedächte seinen heiligen Bund, an den Eid, den er geschworen hat unserm Vater Abraham, uns zu geben, dass wir, erlöst aus der Hand der Feinde, ihm dienten ohne Furcht unser Leben lang in Heiligkeit und Gerechtigkeit vor seinen Augen.
Und du, Kindlein, wirst Prophet des Höchsten heißen. Denn du wirst dem Herrn vorangehen, dass du seinen Weg bereitest und Erkenntnis des Heils gebest seinem Volk in der Vergebung ihrer Sünden, durch die herzliche Barmherzigkeit unseres Gottes, durch die uns besuchen wird das aufgehende Licht aus der Höhe, auf dass es erscheine denen, die sitzen in Finsternis und Schatten des Todes, und richte unsere Füße auf den Weg des Friedens.


Der ausgebrannte Priester

Er verrichtete seinen Dienst nach Vorschrift im Tempel und hielt sich an die Gebote. Von außen war nicht zu erkennen, dass er sich leer, ausgebrannt und müde fühlte, dass er den Glauben verloren hatte. Er, der Berufsgläubige, konnte nichts mehr anfangen mit der Rede von der Kraft der Gebete und den Verheißungen Gottes. Das Leben hatte ihn enttäuscht. Die Kinder und das Familienglück, das er sich mit seiner Frau erhoffte, waren ihm trotz all der Bitten und Gebete verwehrt geblieben. Trist und trostlos kam ihm sein Leben vor.

Ähnlich trist und trostlos blicken viele von uns auf das anstehende Weihnachtsfest. Wir stehen vor einem erneuten Lockdown. Die Familienfeier an Weihnachten wird wohl nur sehr eingeschränkt möglich sein. Auch die Gottesdienste stehen wie Ostern zur Disposition. Mitten in den Vorbereitungen für ein schönes Weihnachtsfest droht wieder der Abbruch. So nachvollziehbar das aus gesundheitspolitischer Sicht auch ist, es zieht einen runter. Ich spüre das auch bei mir. Ich bin jetzt mitten in den Planungen und Besprechungen für Weihnachten. Zugleich aber muss ich alles unter Vorbehalt machen. Wenn die Gottesdienste verboten werden, war die ganze Vorbereitung umsonst. Das nimmt einem die Lust an der Arbeit. Ich fühle mich zunehmend leer und frustriert.

Zeit der Besinnung

Zacharias, der ausgebrannte Priester, ist mir in diesen Tagen sehr nah. Nach der Begegnung mit dem Engel Gabriel im Tempel verstummte er. Denn er konnte das, was ihm Gabriel mitgeteilt hatte, nicht glauben. Das machte ihn arbeitsunfähig. Wie frustrierend das für ihn gewesen sein muss! Geistliche reden bei allen Anlässen, bei Gottesdiensten, Trauungen oder Bestattungen. Zacharias aber blieb nur die stumme und bedauernde Geste.

Neun Monate dauerte dieser Zustand bei ihm an. In dieser Zeit hing er aber nicht nur frustriert herum. Zacharias nutzte diese Zeit wie die schwangeren Frauen zur Besinnung. Er lauschte in sich hinein. Er setzte sich mit sich selbst auseinander. Denn so, wie bisher, konnte es mit ihm nicht weitergehen. Ohne Glauben konnte er seinen Beruf nicht weiterführen. Deshalb nahm er das Gespräch mit Gott wieder auf. Und langsam, mit dem anschwellenden Bauch seiner schwangeren Ehefrau Elisabeth, wuchs in ihm das Vertrauen, dass Gott ihm und seinen jüdischen Geschwistern nah ist.

Ich nehme mir Zacharias zum Vorbild, liebe Gemeinde. Die Zeit, in der ich zu Hause bleiben muss, will ich wie er zur Besinnung nutzen. Ich suche das Gespräch mit Gott, lese in der Bibel und mache mir Gedanken über mein Leben und meine Arbeit.

Eine solche Zeit der Besinnung ist hilfreich und wichtig. Sie hilft mir, aus dem Trott des Alltags herauszukommen, inne zu halten, mein Leben zu bedenken und, wenn nötig, neue Wege einzuschlagen. Das hört sich so leicht an. Ist es aber nicht. Im Sommer, als es den Anschein hatte, wir würden wieder in unser „normales“ Leben führen können, fiel ich in alte Verhaltensmuster zurück. Dabei hatte ich vor, sie abzulegen. Ich kaufte zum Beispiel wieder Dinge, die ich nicht mehr kaufen wollte. Ich fuhr auch wieder vermehrt mit dem Auto, obwohl in der Garage das Fahrrad auf mich wartete.

In gesellschaftlicher Hinsicht sieht es ähnlich aus. Auch hier scheint es im Grunde nur darum zu gehen, die alten Verhältnisse wiederherzustellen. Die Konjunktur will man wieder ankurbeln, die Wirtschaft wieder auf Wachstumskurs bringen und möglichst viel Geld an den Börsen verdienen. Die katastrophalen sozialen und ökologischen Folgen unseres Wirtschaftens werden dem gegenüber heruntergespielt. Oder es werden Maßnahmen angekündigt, die man im Jahr 2030 oder später umsetzen will.

Die Lebenskraft der Heiligen Geistin

Besinnung allein reicht anscheinend nicht aus. Zacharias hätte von sich aus seinen Lobgesang auch nicht angestimmt. Er benötigte die Hilfe Gottes. Nach der Geburt seines Sohnes Johannes wurde er erfüllt vom Heiligen Geist. Er oder, um das Geschlecht im Hebräischen auch in unserer Sprache korrekt anzugeben, sie, die Ruach, die Heilige Geistin ist es, die Zacharias wieder innerlich brennen lässt. Mit ihrer Lebenskraft kann er einen neuen Weg einschlagen.

Erfüllt von ihrer Kraft stimmt Zacharias sein Freiheitslied an. Er besingt die Befreiung Israels aus der Hand seiner römischen Feinde. Er besingt seinen Sohn, der dem Herrn den Weg bereiten wird. Er besingt die Barmherzigkeit Gottes, der den Menschen ihre Sünden vergeben wird. Er besingt den kommenden Retter, der Licht in unsere Finsternis bringen und unsere Füße auf den Weg des Friedens lenken wird.

Es braucht die Lebenskraft der Ruach, der Heiligen Geistin, um den Frust und die Tristesse dieser Tage zu überwinden, um neue Wege einzuschlagen, liebe  Gemeinde.

Anne und Franz

Welche Kraft die Ruach selbst im Angesicht des Todes hat, wurde mir bei der gestrigen Lektüre des Adventskalenders bewusst. Dort erfuhr ich von Anne Smidt und Franz Posch. Anne ist 29 und Franz 27 Jahre alt. Als ein dänischer Journalist ihre Liebesgeschichte in diesem Jahr niederschrieb, lebten sie in einem kleinen Haus in der Nähe von Aarhus. Ob sie das noch tun, weiß ich nicht, denn Anne war zu diesem Zeitpunkt todkrank.  Weihnachten 2019 kehrte bei ihr ein bereits entfernter Tumor zurück. Die Ärzte konnten ihr nicht mehr helfen.

Im Sommer wollten Anne und Franz dennoch heiraten. Wie all die anderen Brautpaare bereiteten sie alles akribisch vor. Die Location, die zwei Bands und das Catering waren gebucht, als drei Wochen später die Pandemie in Dänemark ausbrach. Am 15. März trafen sie, wie Anne auf Instagram schreibt, „die herzzerreißende  Entscheidung“, ihr Hochzeitsfest abzusagen. Beiden war klar, dass es für sie wohl keinen neuen Termin mehr geben wird.

Franz´ Mutter schlug ihnen ein virtuelles Fest vor. Zuerst zögerten die beiden. Nach einem Tag Bedenkzeit sagten sie zu. Am 21. März war es dann soweit. Um drei Uhr  nachmittags loggten sich die eingeladenen 93 Gäste ein zur Hochzeits-Videokonferenz. Alle trugen festliche Kleidung. Anne, ganz in Weiß gekleidet, und Franz in Anzug und Fliege ließen sich in ihrem Wohnzimmer von einem katholischen Priester trauen. Persönlich waren nur die beiden Mütter und die beiden Trauzeugen anwesend. Natürlich hielten sie Abstand. Auf der Videoaufnahme sieht man, wie Anne kurz vor dem Ja-Wort beinahe die Beine versagten. Franz hielt sie.

Vor der Party gingen die Gäste in ihre Küchen, um die Speisen zu holen, die sie zuvor bei Caterern in Aarhus und Kopenhagen abgeholt hatten. Dann schalteten sie ihre Computer wieder ein, um mit Anne und Franz zu speisen. Anne und Franz tanzten ihren Hochzeitstanz zu dem Song „Be My Baby“ von den Ronettes. Franz hielt eine bewegende Rede. In den schweren Monaten sei Anne seine größte Stütze gewesen. Anne mache es einem einfach, Anne zu lieben. Während der Feier wurde viel gelacht und geweint. Anne und Franz warfen auch den Brautstrauß. Per Zufallsgenerator wurde ausgelost, wer von den am Bildschirm versammelten Freundinnen ihn nach dem Fest bekommt. Die virtuelle Hochzeitsfeier dauerte bis drei Uhr morgens.

So überwanden Anne und Franz ihren Frust. Ihre virtuelle Hochzeitsfeier war ein Lobgesang auf die Liebe und das Leben. Die Lebens- und Liebeskraft der Ruach, der Heiligen Geistin, gab ihnen dazu Kraft.

Die Heilige Geistin möge in den kommenden Tagen und Wochen auch euch erfüllen. Sie möge die Finsternis in und um euch herum erhellen. Sie möge euch trotz der Beschränkungen eine unerschütterliche Freude am Leben schenken und die Kraft verleihen, neue Wege einzu- schlagen, wenn es nötig ist. Und sie gebe euch den Mut, wie Zacharias einen Lobgesang anzustimmen, wenn euch danach ist.