Fest der Erscheinung des Herrn 2021
Predigt zu Jesaja 60,1-6
Roland Liebenberg
Mache dich auf, werde licht!
Prophetie des Lichts
Finsternis herrschte in den Herzen der Menschen, liebe Gemeinde. Sie hatten die Hoffnung auf eine gute Zukunft verloren. Die zerstörte Stadt, in der sie lebten, verstärkte ihre Niedergeschlagenheit. Trümmer, überall sahen sie Trümmer. Den Tempel, ihr spirituelles Zentrum, gab es nicht mehr. Gott, so hatte es den Anschein, hatte sie verlassen. Da verkündete ein Prophet Worte der Hoffnung. Sie sind im 60. Kapitel des nach dem Propheten Jesaja benannten Buches überliefert:
Mache dich auf, werde licht! Denn dein Licht kommt, und die Herrlichkeit des Herrn geht auf über dir! Denn siehe, Finsternis bedeckt das Erdreich und Dunkelheit die Völker. Aber über dir geht auf der Herr. Und seine Herrlichkeit erscheint über dir. Und die Völker werden zu deinem Lichte ziehen und die Könige zum Glanz, der über dir aufgeht.
Hebe deine Augen auf und sieh umher: Diese alle sind versammelt, kommen zu dir. Deine Söhne werden von ferne kommen und deine Töchter auf dem Arm herbeigetragen werden. Dann wirst du es sehen und vor Freude strahlen. Und dein Herz wird erbeben und weit werden, wenn sich die Schätze der Völker am Meer zu dir kehren und der Reichtum der Völker zu dir kommt. Denn die Menge der Kamele wird dich bedecken, die jungen Kamele aus Midian und Efa. Sie werden aus Saba alle kommen, Gold und Weihrauch bringen und des Herrn Lob verkündigen.
Licht ist Leben
Worte des Lichts wählte der Prophet, um die Finsternis in den Herzen zu vertreiben. Denn Licht ist Leben. Als Gott Leben erschuf, erschuf er zuallererst das Licht. Am Anfang der Schöpfungserzählung heißt es: Es war finster auf der Tiefe. Deshalb ist Gottes erstes Schöpfungswerk das Licht. Mit der Erschaffung des Lichts beginnt sich das Leben zu entwickeln. Ohne Licht wäre kein Leben möglich. Licht ist Leben und Leben ist Licht.
Was aber nicht übersehen werden darf: Zum Licht gehört die Dunkelheit. Bevor Gott sein Schöpfungswerk in Gang setzt, ist es dunkel. Ohne Dunkelheit wird Licht nicht erkannt. Das gilt auch für unsere Lebenserfahrung ganz allgemein. Ich kann mein Leben erst als schön und hell bewerten, wenn ich ein dunkles Tal durchschritten habe. Nach fast einem Jahr der Einschränkungen, weiß ich den Wert des sozialen Miteinanders neu zu schätzen. Noch nie in meinem Leben war die Sehnsucht nach körperlicher Nähe, nach einer spontanen Umarmung, nach einem ungezwungen Wirtshausbesuch, einer Feier oder vollen Kirche so groß wie nach diesem finsteren Jahr der sozialen Distanz.
Neues Leben in Jerusalem
Bei den Menschen in Jerusalem kam der Zuruf des Propheten deshalb an: „Mache dich auf und werde licht.“ Die Zeit der Finsternis hat ein Ende. Gott hatte sein Volk verlassen, es fremden Mächten und Herrschern ausgesetzt. Nun aber war diese finstere Zeit vorbei. Gott wandte sich seinem Volk wieder zu. Die Verschleppten und Zerstreuten durften wieder heimkehren. Die Stadt sollte wieder aufgebaut werden.
Gott wird zurückkehren. Und Jerusalem wird erhöht werden. Licht und Glanz werden in ihr einkehren. Und Licht und Glanz wird von ihr ausgehen. Den Menschen wird es wieder gut gehen. Neues Leben wird entstehen.
Licht für die ganze Welt
Wenn Jerusalem hell leuchtet, sagt das gleichzeitig etwas über die übrige Welt aus: Sie ist finster, liegt im Dunkeln. Der Glanz Gottes geht über Jerusalem auf. „Denn siehe“, fährt der Prophet fort, „Finsternis bedeckt das Erdreich und Dunkel die Völker.“ Damit sollen die Erde und die anderen Völker nicht abgewertet werden. Die Erde und die Völker werden mit in das Licht hineingezogen. Ziel ist es, dass die weltweite Finsternis überwunden wird.
Die Völker, die im Dunkeln leben, werden wie von selbst vom Licht angezogen. Es ist wie in einem dunklen Raum. Zündet man ein Licht an, wird alle Aufmerksamkeit auf das Licht gelenkt. Das Licht durchbricht die Dunkelheit, erhellt den Raum, umhüllt alle und alles mit seinem glänzenden Schein. Die Völker werden zum Licht in Jerusalem ziehen, weissagt der Prophet, und die Könige zum Glanz, der über der Stadt aufgeht.
Ein globales Weihnachtsfest
Alle werden sie kommen, weil Jerusalem eine so starke Anziehungskraft ausübt. Alle möchten vom Glanz beschienen werden. Alle möchten Anteil haben an der Freude und Wonne, am Licht und an der Sonne. Die Menschen werden sich aufmachen nach Jerusalem. Sie werden in der heiligen Stadt ein großes Fest feiern. Ein Fest des Lichts. Ein Fest des Lebens. Alle werden daran teilnehmen. Alle werden von Gott in den hell leuchtenden Glanz des Lebens hineingenommen.
Aus allen Himmelsrichtungen werden die Völker zur heiligen Stadt strömen. Sie bringen
wertvolle Geschenke mit und wollen Gott die Ehre geben. Sie bringen Geschenke mit, wie man Geschenke mitbringt, wenn man zu einem Fest eingeladen ist. Besondere ausgewählte Geschenke drücken eine besondere Ehrfurcht und Freude aus. In seiner Vision verbindet der Prophet die konkreten Hoffnungen des israelischen Volkes mit dem zukünftigen globalen Heil. Mit dem Aufbau Jerusalems erhofft er sich zugleich ein heilvolles Miteinander der gesamten Menschheit.
Heute an Epiphanias wird daraus eine jüdische Weihnachtsgeschichte. Sie nimmt vorweg, was aus christlicher Perspektive vom Evangelisten Matthäus über die Weisen aus dem Morgenland erzählt wird. Die Weisen aus dem Morgenland bringen dem Kind mit wertvollen Geschenken ihre Verehrung dar. Sie liegen auf den Knien und beten das Christuskind an.
Seit dem Mittelalter repräsentieren Caspar, Melchior und Balthasar die damals bekannten Kontinente Europa, Asien und Afrika. Mit ihnen betet die ganze Welt das Kind an. Mit ihnen legt die ganze Welt ein Bekenntnis zu dem ab, der das Licht ist und das Licht bringt. Im Stall von Bethlehem wird ein globales Weihnachtsfest gefeiert. Denn dort leuchtet das Licht der Welt.
Von der Finsternis ins Licht
Mache dich auf und werde licht! Ohne Licht sind wir zum Sterben verurteilt. Wenn wir kein Licht sehen und in der Dunkelheit bleiben, gehen wir zugrunde. „Finsternis bedeckt das Erdreich und Dunkel die Völker“, sagt der Prophet. Die Erde ist bedeckt mit Dunkelheit. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Überall auf der Welt werden Menschen in tiefe Finsternis geworfen, sodass sie keinen Lichtblick und keinen Hoffnungsschimmer haben. Unrecht geschieht in vielerlei Gestalt, im Kleinen wie im Großen.
Wir alle sind auf die eine oder andere Weise schon in die Finsternis geworfen worden. Die
Finsternisse, in die wir geworfen wurden, sind aber eher privater Natur. Wir haben das Glück in einem demokratisch verfassten Staat zu leben. Anders als in China, Russland oder in der Türkei dürfen wir unsere Meinung frei äußern. Wir dürfen sogar an Demonstrationen von Corona-Leugnern wie am vergangenen Sonntag in Nürnberg teilnehmen.
Die Finsternis, die wir erleben, ist in der Regel ein Bestandteil unseres Privatlebens. Auch sie schmerzt und tut weh. Auch sie erleben wir als dunkles Tal, das wir durchwandern müssen. Heute, am Tag der Erscheinung des Herrn, wird uns noch einmal mitgeteilt: Selbst die schwärzeste Nacht, selbst die tiefste Finsternis kann Gottes Licht nicht zum Erlöschen bringen. Es leuchtet für die ganze Welt. Also auch für dich und mich.
Mit Jesu Geburt ist Gottes Licht für uns, für dich und mich in die Welt gekommen. Und dieses Licht wendet sich uns zu. Es nimmt uns hinein in den göttlichen Schein. Es umfängt und erfüllt uns. Es holt uns heraus aus unserer Finsternis. Gottes Licht richtet uns auf und verleiht uns die Kraft zu einem Leben nicht nur für mich, sondern auch für andere.
Umfangen und erfüllt von Gottes Licht kann ich tun, was der Prophet von uns, von dir und mir verlangt:
Mache dich auf und werde licht!