07.02.2021
Predigt zu Lukas 8,4-8
Dr. Roland Liebenberg
Gottes aufgehende Saat
Das Gleichnis vom Sämann
Jesus zog durch die Städte und Dörfer, predigte und verkündete das Reich Gottes. So beginnt das achte Kapitel des Lukasevangeliums. Viele Menschen waren neugierig auf ihn. Sie wollten hören, was er zu sagen hat.
Als nun eine große Menge beieinander war und sie aus den Städten zu ihm eilten, heißt es in unserem Predigttext, redete er in einem Gleichnis:
Es ging ein Sämann aus zu säen seinen Samen. Und indem er säte, fiel einiges auf den Weg und wurde zertreten. Und die Vögel unter dem Himmel fraßen’s auf. Und einiges fiel auf den Fels. Und als es aufging, verdorrte es, weil es keine Feuchtigkeit hatte. Und einiges fiel mitten unter die Dornen. Und die Dornen gingen auf und erstickten’s. Und einiges fiel auf gutes Land. Und es ging auf und trug hundertfach Frucht. Als er das sagte, rief er: Wer Ohren hat zu hören, der höre!
Widrige äußere Bedingungen
Die äußeren Bedingungen waren von Anfang an schlecht. Als wir im Sommer im Pfarrgarten anfingen, mussten wir Abstand halten. Ab Herbst trafen wir uns im großen Saal des Gemeindehauses in Regelsbach. Wieder mussten wir auf den Abstand achten. Anfangs nahmen wir die Masken ab. Dann zogen wir sie wieder an. Seit November geht selbst das nicht mehr. Wir müssen zu Hause bleiben. Also besorgte ich mir eine Lizenz, damit wir uns wenigstens online treffen können. Das klappt so einigermaßen. Wirklich Spaß macht es mir und den Konfis nicht. Dennoch bleiben wir dran. Unsere Hoffnung ist, dass wir am Ende dieses Kurses trotz allem eine tolle Konfirmation miteinander erleben.
Es sind widrige äußere Bedingungen, mit denen wir uns herumschlagen müssen. Der Weg zur Konfirmation ist schwierig und mühsam. Nicht nur ich frage mich manchmal: Warum tue ich mir das eigentlich an? Weshalb ziehe ich den Kurs trotz der Einschränkungen durch? Sollte ich es nicht bleiben lassen?
Zumal unser Weg auch noch felsig ist wie im Gleichnis. Wie bei dem heruntergefallenen Samen droht auch unsere Motivation zu verdorren. Andere Dinge wuchern wie Dornengestrüpp darüber. Etwa eine diffuse Angst, dass es ewig so weitergeht. Oder ein Gefühl der Erschöpfung. Das ständige Improvisieren raubt einem die Kraft. Man möchte alles stehen und liegen lassen und abwarten, bis die Pandemie endlich vorbei ist.
Es ist nicht unsere Schuld
Jesus ist mit seinem Gleichnis nahe dran an unserer derzeitigen Lage. Denn der im Predigttext erwähnte Verlust an Saatgut ist völlig normal. Der Sämann geht nicht unachtsam oder übermäßig großzügig damit um. Beim Bestellen des Feldes geht eben ein Teil des Samens verloren.
Der Sämann, von dem Jesus redet, hatte keine technischen Geräte zur Verfügung, um die Aussaat zu optimieren. Beim verlorenen Saatgut geht es daher nicht um fehlerhaftes oder gar schuldhaftes Verhalten. Es sind die äußeren Umstände, die zum Verlust führen. Je schlechter sie sind, umso höher sind die Verluste.
Für mich ist das eine entlastende Nachricht. Wenn das befreiende Wort von der Menschenliebe Gottes bei den Menschen nicht ankommt, ist das nicht unsere Schuld.
Fehlende Einsicht an der Kirchenspitze
Es sind die äußeren Umstände, die den Weg des Wortes in die Herzen der Menschen erschweren. Es wird Zeit, dass sich diese Einsicht endlich in den Leitungsgremien der evangelischen Kirchen durchsetzt. Seit nun beinahe dreißig Jahren jagt ein Reformprogramm das andere. In Bayern fing es 1996 mit der Beratung des Münchener Dekanats durch die Firma McKinsey an.
Als Ergebnis wurden damals eine Konzentration auf die Kernkompetenzen, Professionalisierung der kirchlichen Arbeit und Straffung der mittleren Führungsebene angemahnt. Dann, so glaubten die Berater, werde das kirchliche Produkt vom Verbraucher auch wieder besser angenommen. Unsere Kirche wandelte sich zu einem Unternehmen. Und der Erfolg des Unternehmens, betonten die Unternehmensberater, hängt davon ab, wie attraktiv, risikobereit und marktorientiert das Produkt angeboten wird.
Wie sehr diese unternehmerische Sichtweise noch heute die Kirchenspitze prägt, unterstreichen die „Zwölf Leitsätze“ der EKD. Nach einer kontroversen Diskussion wurden sie auf der 7. Tagung der 12. Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland am 8. und 9. November 2020 beraten und beschlossen. Im ersten Leitsatz wird unter anderem festgehalten:
„Wir sind dankbar für alles Gute und Bewährte. Vieles davon bleibt auch für die Zukunft wichtig. Wir sind aber auch entschlossen, uns von Aktivitäten zu verabschieden, die an Ausstrahlung verloren haben. Denn der Versuch, alles Alte festzuhalten und gleichzeitig Neues zu wagen, ist in Zeiten zurückgehender Ressourcen zum Scheitern verurteilt. Das ist die gemeinsame Erkenntnis vieler Transformations- und Zukunftsprozesse in den Landeskirchen und auf EKD-Ebene. Daraus folgt für uns als Konsequenz, dass Kirche sich so verwandeln sollte, dass sie sich ‚hinaus ins Weite‘ führen lässt.“
Noch immer ist man an der Kirchenspitze davon überzeugt, mit Reformen an Ausstrahlungskraft gewinnen zu können.
Hohe Verluste an Saatgut
Die Tatsache, dass alle bisherigen „Transformations- und Zukunftsprozesse“ den kontinuierlichen Rückgang der Mitgliederzahlen in den Landeskirchen nicht aufhalten konnten, dass sie den Schrumpfungsprozess zum Teil sogar beschleunigt haben, wird weiter ignoriert.
Wir erleben in Europa und in unserem Land seit einigen Jahrzehnten einen dramatischen Traditionsabbruch. Für die Mehrheit der Bevölkerung hat die gute Nachricht von der Liebe Gottes, wenn überhaupt, nur noch einen untergeordneten Stellenwert. Die Menschen interessieren sich nicht dafür. Erschwerend kommt hinzu, dass die Nachrichten über die großen Kirchen in Deutschland in den Medien zumeist negativ sind. Seit Jahren dominiert der Missbrauchsskandal die Schlagzeilen. Die Austrittszahlen sind auch deswegen dramatisch gestiegen. In diesen Wochen sorgt der Kölner Kardinal Woelki dafür, dass sie wahrscheinlich eine neue Rekordhöhe erreichen.
Wenn wir zur Bildebene unseres Gleichnisses zurückkehren, heißt das: die Verluste an Saatgut sind derzeit außerordentlich hoch. Der Weg zum Acker wird immer länger und felsiger. Das Dornengestrüpp ist inzwischen so dicht, dass kaum noch ein Samen aufgeht.
Das hört sich bitter und pessimistisch an. Doch so sehen die äußeren Umstände nun einmal aus. Es wäre meines Erachtens falsch, sie zu verdrängen. Verstehe ich das Gleichnis vom Sämann recht, ist das auch nicht die Absicht Jesu. Mit seinem Gleichnis macht er auf die äußeren Umstände aufmerksam.
Gottes aufgehende Saat
Und zugleich teilt er uns mit: Für die äußeren Umstände können wir nichts. Es ist nicht unser Fehler, es ist nicht unsere Schuld, dass für so viele Menschen die gute Nachricht kaum noch etwas bedeutet. Wir tun, was wir können. Wir bringen die frohe Botschaft von der Liebe und Barmherzigkeit Gottes zu den Menschen mit der uns von Gott gegebenen Ausstrahlung. Mehr können wir nicht tun. Wer mehr verlangt, vergisst, wer die Herzen der Menschen bewegt. Wer unsere Worte, unsere menschlichen Worte zum Wort Gottes macht.
„Und einiges fiel auf gutes Land.“ Einiges – das ist nicht viel. Aber es genügt. Denn es trägt „hundertfach Frucht“. Dafür wird Gott sorgen.
Und darauf will ich vertrauen. Mehr braucht es für mich nicht, um zuversichtlich für unsere Kirchengemeinden zu sein. Gott wird für eine aufgehende Saat sorgen. Das teilen mir zurzeit auch zehn junge Menschen mit. Zehn junge Christinnen und Christen, die sich von den widrigen Umständen nicht entmutigen lassen. Die sich trotz Corona, trotz Traditionsabbruch im April zu ihrem christlichen Glauben bekennen wollen.